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Die Fleischwirtschaft stößt an ihre Grenzen
Werkverträge verboten, mehr Tierschutz angesagt - die Fleischbranche steht am Scheideweg. Corona ist vielleicht der Auslöser, nicht aber die Ursache für die Neuorientierung, sagt Unternehmensberater Klaus Martin Fischer im Interview.
Das sind die Neuregelungen in der Fleischwirtschaft
- Das Bundeskabinett hat Ende Juli den Entwurf des neuen Arbeitsschutzkontrollgesetzes verabschiedet.
- Im Kerngeschäft der Fleischindustrie darf ab dem 1. Januar 2021 kein Fremdpersonal per Werkvertrag eingesetzt werden. Ab dem 1. April 2021 ist auch Leiharbeit verboten. Schlachtung und Verarbeitung von Fleisch sind dann nur noch von Arbeitnehmern des eigenen Betriebes zulässig. Ausgenommen von dem Verbot sind Betriebe des Fleischerhandwerks mit bis zu 49 Mitarbeitern.
- Damit die Einhaltung der Mindestlohnvorschriften überprüft werden kann, gilt eine Pflicht zur digitalen Arbeitszeiterfassung.
- Die Bundesländer werden zu mehr Kontrollen in der Fleischindustrie verpflichtet. Dazu soll im Arbeitsschutzgesetz eine Überwachungsquote von fünf Prozent für 2026 eingeführt werden.
- Außerdem soll es Schwerpunktkontrollen in Risikobranchen geben.
- Für die Unterbringung der Beschäftigten gelten Mindeststandards, auch außerhalb des Betriebsgeländes.
- Arbeitgeber, die eine Unterkunft für Beschäftigte stellen, werden zudem verpflichtet, die Behörden über Einsatz und Wohnort aller Arbeitskräfte zu informieren.
In unserem Exklusivinterview schätzt Unternehmensberater Klaus Martin Fischer ein, was dieser Systemwandel für die Fleischbranche bedeutet.
Herr Fischer, warum braucht die Fleischwirtschaft Werkverträge mit Osteuropäern?
Die Frage ist, wo die Unternehmen die benötigten Arbeitskräfte herbekommen, die die schwere Arbeit machen wollen und zu Mindestlöhnen. Im Inland finden sich nicht genug Bewerber für die ‚Knochenarbeit‘. In Krankenhäusern, der Bau- und Automobilindustrie, dem Reinigungsgewerbe oder auch im Gemüse-/Obstbau sieht das nicht anders aus. Gefunden werden diese Arbeitskräfte in Osteuropa.
Werkverträge sind aus unserem Wirtschaftsleben nicht wegzudenken, gerade wenn man flexibel sein muss, das gilt zum Beispiel bei Saisonschwankungen. Zur Erntezeit werden im Obstbau mehr Mitarbeiter benötigt als im Rest des Jahres, gleiches gilt in der Fleischindustrie etwa zur Grillzeit. Zu kritisieren ist, wenn Werkverträge oder Arbeitnehmerüberlassungen von „schwarzen Schafen“ seitens der Unternehmen oder Subunternehmen missbraucht werden. Das muss gestoppt werden.
Was bedeutet das Verbot der Werkverträge für die Unternehmen?
Die Diskussion um die Werkverträge ist durch Corona hochgekocht. Hier wurde eine Lupe als Brennglas genutzt und eine ganze Wertschöpfungskette angezündet. Meines Erachtens haben diese beiden Themen aber nichts miteinander zu tun. Kein Arbeiter ist besonders anfällig für das Virus, nur weil er nicht festangestellt ist.
Mit Blick auf die Abdeckung von branchentypischen Spitzenlasten ist festzuhalten, dass es im gerade verabschiedeten Gesetzesentwurf nicht nur um Werkverträge und Arbeitnehmerüberlassung geht. In Summe wird alle Flexibilität abgeschafft. Das nimmt betroffenen Unternehmen die Möglichkeit, auf Markt-ereignisse schnell zu reagieren.
Der vorliegende Gesetzesentwurf wirft für die Unternehmen der Fleischwirtschaft eine ganze Reihe von Fragen auf. Bekomme ich noch ausreichend Personal für die Arbeit? Wo darf, wo muss, wie kann ich sie anstellen? Was werde ich dafür zahlen müssen? Was bedeutet das Konzernverbot? Was bedeutet das für meine Kosten? Wie verteuern sich meine Produkte und kann ich sie dann noch absetzen? Will ich stärker automatisieren, um weniger Personal zu benötigen? Muss ich dafür noch größer werden, damit sich die Automatisierung rechnet? Bin ich im Export noch wettbewerbsfähig?
Die Produktionskette in der industriellen Fleischerzeugung ist ein genau aufeinander getaktetes System. Es bricht zusammen, wenn ein Glied der Kette ausfällt, im Coronafall waren es die Mitarbeiter am Schlachthof. Stehen die Bänder in nur einem Großbetrieb still, sorgt das für weitreichende Verwerfungen. Landwirte werden ihre Tiere nicht los, Tiertransportkapazitäten sind überall ausgebucht etc.
All diese Fragen münden für mich darin, dass sich für die Fleischindustrie eine „Systemfrage“ stellt. Ein schlichtes „Weiter so wie bisher“ geht nicht.
Wie wirkt das auf das Preisgefüge in der Produktionskette?
Ohne Werkverträge wird es für betroffene Unternehmen schwierig. Hierzulande wird es im ersten Schritt nicht ausreichend Bewerber für die Arbeit im Schlachthof geben. Und es ist ja auch nicht so, dass jeder osteuropäische Werkarbeitnehmer in eine Festanstellung hier in Deutschland wechseln möchte. Die Personalkosten spielen eine wesentliche Rolle. Greift nun das neue Gesetz, muss das Thema Flexibilität mit höheren Kosten erkauft werden. Es bleibt zu befürchten, dass der Lebensmittelhandel nicht ohne Weiteres willens sein wird, auf diese erhöhten Kosten einzugehen. Noch vor wenigen Monaten hat er Forderungen von Unternehmen der Wurstherstellung abgewehrt. Diese konnten darlegen, dass sich ihre Rohstoffe durch die Afrikanische Schweinepest in China extrem verteuert hatten. Aussagen wie „Was können wir dafür, wenn die ihren Rohstoff nicht absichern“ zeigen, wie es in der Praxis läuft. Somit wird das neue Gesetz mit seinen Folgen zunächst einmal voll auf die Kappe der Fleischindustrie und der vorgelagerten Stufen gehen. Der Druck steigt.
Das heißt, für den Verbraucher im Laden wird es keine höheren Fleischpreise geben?
Das kann man nicht vorhersagen. Lebensmittelpreise in Deutschland, so auch die Fleischpreise, sind im internationalen bzw. europäischen Vergleich relativ gering. Folglich würde ein erhöhter Fleischpreis ins Bild passen. Letztendlich ist und bleibt der Preis an der Ladentheke aber Sache der Märkte. Lediglich im Falle gravierend negativer Effekte kann staatliches Eingreifen sinnvoll sein, wenn es dem Wohl der Allgemeinheit dient. Aber: Eine staatliche Lenkung widerspricht klar einer Marktwirtschaft.
Allerdings muss man sich auch über die Folgen erhöhter Fleischpreise bewusst sein. Studien haben gezeigt, dass bereits bei einem leichten Anstieg des Fleischpreises, wir reden von 10 Cent/kg, mit einem Rückgang des Fleischkonsums in Höhe von 9 % zu rechnen ist. Ein solcher Rückgang passt aber nicht zu dem Geschäftsmodell der Großen. Das ist auf hochausgelastete Fabriken ausgelegt. In einer Branche, in der die Margen so unter Druck sind, hinterließe ein solcher Rückgang gravierende Spuren. Strukturen, die auf Größe setzen, sind da höchst anfällig. Absatz und Umsatz sinken, fixe Kosten aber bleiben. Der Industrie würden also höhere Fleischpreise weniger Menge bzw. Auslastung und damit steigende Stückkosten und Ergebniseinbußen bescheren.
Das vollständige Interview und weitere Meinungen aus der Fleichbranche lesen Sie in der LAND & FORST, Ausgabe 33/2020 und in der digitalen Ausgabe.