Ein Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Neuseeland könnte in einigen Jahren in Kraft treten. Damit könnten die agrarischen Einfuhren hierzulande deutlich steigen und die hiesigen Agrarmärkte unter Druck setzen.

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Dr. Albert Hortmann-Scholten, LWK Niedersachsen | am

Freihandelsabkommen: Deutschland könnte kaum standhalten

Die EU hat einem Freihandelsabkommen mit Neuseeland zugestimmt. In Kraft treten wird es voraussichtlich im Jahr 2030. Dr. Albert Hortmann-Scholten erläutert die möglichen Auswirkungen auf die Agrarmärkte.

Mit Neuseeland, ein Inselstaat im südlichen Pazifik mit zirka fünf Millionen Einwohnern, verbinden die meisten Bundesbürger vor allem den Export von Kiwifrüchten. Aufgrund der geographischen Lage und des günstigen Klimas floriert allerdings der gesamte neuseeländische Agrarexport. Der Ausfuhrwert landwirtschaftlicher Produkte einschließlich Holz belief sich im Jahr 2020/2021 auf umgerechnet 4,50 Mrd. Euro. Die Produktgruppen Milch und Fleisch waren dabei mit 3,4 Mrd. Euro Exporterlösen die beiden wichtigsten Bereiche. Vergleichsweise gering sind die Erlöse mit 490 Mio. Euro aus dem Verkauf von Obst wie Kiwis und Äpfeln.

Vor 40 Jahren wurde der Markt rigoros liberalisiert, weshalb der Agrarbereich nahezu ohne staatliche Unterstützung arbeitet. Auch der gesamte Warenverkehr ist liberalisiert und die staatliche Mitsprache an Löhnen, Zinsen sowie Preisen für Güter und Dienstleistungen aufgehoben. Bis heute gehört Neuseeland zu den am stärksten deregulierten und privatisierten Volkswirtschaften der Welt.

Kurzfristig keine Gefahr

Niedersachsen wird nach Wirksamwerden des Abkommens vor allem in den Marktsegmenten Milch, Rind- und Schaffleisch betroffen sein. Neuseeland verfügt mit Fonterra über das größte milchverarbeitende Unternehmen der Welt. Daher machen sich momentan die niedersächsischen Milcherzeuger bezüglich des Abkommens verständlicherweise Sorgen. Neuseeland ist zwar mengenmäßig nicht der größte Erzeuger, aber der größte Exporteur von Milch, Butter und Käse. Mehr als 22 Mio. t Milch produzieren die 6,5 Mio. Kühe des Südpazifik-Staates jedes Jahr. Damit sind die Rinder wirtschaftlich längst wichtiger als die Schafe.

Kostenvorteile gegenüber nordwestdeutscher Milchviehhaltung

Jedem Praktiker ist klar, dass die neuseeländische Milchwirtschaft gegenüber der nordwestdeutschen Milchviehhaltung erhebliche Kostenvorteile hat. Zwar ist die durchschnittliche Herdenmilchleistung der neuseeländischen Milchbetriebe im Vergleich zu Europa und vor allen Dingen zu Deutschland deutlich geringer, allerdings ist dies nicht der entscheidende Punkt. Die Vorteile liegen vor allen Dingen in der ganzjährigen Weidehaltung und den daraus resultierenden geringen Futter- und Stallhaltungskosten. Das milde Klima in Neuseeland erlaubt es, die Herden das ganze Jahr über auf der Weide zu halten.

Auf den Agrarflächen können zusätzliche Futtermittel wie Mais und Rüben selbst angebaut und auch Wirtschaftsgüter wie Dünger relativ günstig eingekauft werden. Die Stromkosten sind aufgrund der Nutzung von Wasserkraft und Geothermie gering.

Einen Fuß in der Tür der EU

Die Landwirtschaft in Neuseeland produziert somit kostengünstig. Für einige Milchprodukte, insbesondere Butter und Käse, werden spätestens sieben Jahre nach Inkrafttreten des Abkommens die Exportzölle innerhalb der vereinbarten Kontingente vollständig abgesenkt. Durch die Kontingente kann nur eine begrenzte Menge zu einem niedrigen Zoll importiert werden. Für Mengen, die über die Quote hinausgehen, wird ein höherer Zoll erhoben. Auch wenn die Einfuhrkontingente momentan vergleichsweise klein sind, haben die Neuseeländer immerhin einen Fuß in der Tür der EU. Später könnte sich vielleicht die Türe öffnen, um größere Mengen auf unseren Markt zu exportieren.

Negative Effekte bei Schaf- und Ziegenfleisch

Die größten negativen Effekte dürften allerdings auf dem Markt für Schaf- und Ziegenfleisch zu erwarten sein. Neuseeland ist bereits jetzt schon unter den sogenannten Drittländern für die EU der wichtigste Lieferant. Im Jahr 2021 wurden über 52.000 t Schaf- und Ziegenfleisch in die Europäische Union eingeführt und dies, obwohl ein Zollaußenschutz besteht. Nach Berechnungen des Thünen-Instituts in Braunschweig sinkt nach vollständiger Umsetzung des Abkommens der Außenschutz für Schaf- und Ziegenfleisch auf 26 Prozent. Durch die größer werdenden Exportchancen könnten die Neuseeländer versucht sein, ihre Schaf- und Ziegenfleischproduktion weiter zu Lasten der Milch- und Rindfleischerzeugung auszudehnen, um damit noch mehr in die EU zu exportieren. Infolgedessen würde die EU-Produktion voraussichtlich um einige Prozent zurückgehen.

Wettbewerbsnachteile in der Schafhaltung

Deutschland hat im Bereich der Schafhaltung im Vergleich zu Neuseeland erhebliche Wettbewerbsnachteile. Weitreichende Produktionsauflagen bei gleichzeitig hohen Flächenkosten in Kombination mit den klimatischen Nachteilen führen auch in Niedersachsen zu deutlich höheren Kosten in der Lammfleischproduktion. Deutschland könnte dem weiteren Mengendruck voraussichtlich kaum standhalten.

Die schwierige Wettbewerbsposition der deutschen Schafhalter ist bereits seit Längerem an der Entwicklung der Eigenversorgung zu erkennen. Lag der Selbstversorgungsgrad mit Schaf- und Ziegenfleisch in den 80er-Jahren noch bei über 60 Prozent, bewegt er sich momentan trotz eines stabilen Pro-Kopf-Verzehrs von etwa 700 g bei nur noch rund 50 Prozent. Die Abnahme des Selbstversorgungsgrades resultierte vor allem aus dem Abbau der deutschen Schafbestände.

Damit wird dem in Niedersachsen traditionell wichtigen Bereich der Lamm- und Schaffleischerzeugung eine weitere Belastungsprobe zugemutet. Denn mit dem Abkommen erhält der Schaffleischsektor eine vergleichsweise große Zollquote, die schrittweise erhöht wird.

Lesen Sie im ausführlichen Fachartikel mehr über die Auswirkungen auf den Rindfleischmarkt sowie mögliche Vorteile des Abkommens für die EU.

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