Raiffeisenpräsident Franz-Josef Holzenkamp wirft Agrarminister Cem Özdemir Konzeptlosigkeit vor.
Der Druck auf Bundesagrarminister Cem Özdemir wächst. Das macht Franz-Josef Holzenkamp, Präsident des Deutschen Raiffeisenverbandes (DRV), im Interview mit dem Nachrichtendienst Agra-Europe deutlich. Darin wirft er dem Grünen-Politiker Konzeptlosigkeit vor. Ebenso vermisst Holzenkamp bei Özdemir den Realitätssinn seines Kabinettskollegen und Wirtschaftsministers Robert Habeck, wenn es um die Folgen des Ukrainekriegs auf die Agrarpolitik geht.
Kein Verständnis für Alleingang bei Brachflächen
So erkenne dieser die Fakten an und gestalte pragmatisch die Wirtschaftspolitik. Davon sei Özdemir mit seiner Entscheidung, Brachflächen nicht für den Anbau aller Kulturen freizugegeben indes weit entfernt, so der DRV-Präsident. Er sieht die Ursache möglicherweise auch an Özdemirs Beraterstab, dass der Krieg und seine realen Folgen in der konkreten Agrarpolitik noch keinen Niederschlag gefunden haben. „Anstatt damit ein Signal zu setzen, dass die Frage der Ernährungssicherheit auch hierzulande angekommen ist, setzt man auf einen nationalen Alleingang. Für mich kommt das ebenso einem Verharren in den gedanklichen Gräben gleich“, kritisiert Holzenkamp. So haben in der EU alle Staaten flexiblere Regeln bei den Brachflächen als Deutschland umgesetzt.
Diskussion über neue Züchtungsmethoden fehlt
Der Raiffeisenpräsident verlangt auch eine offene und ehrliche Diskussion über die neuen Züchtungsmethoden. Die Ernährungspolitik gewinne an Bedeutung und damit auch das Ziel vernünftiger Selbstversorgungsgrade. Ebenso müsse Özdemir beim Ziel „30 % Ökolandbau bis 2030“ die Marktbedingungen stärker in den Blick nehmen, und es nicht „wie eine Monstranz vor sich hertragen“. Für Holzenkamp besteht der Kern der Zeitenwende aus dem Dreiklang aus Sicherheitspolitik, Energiepolitik und Ernährungssicherung.
Özdemir: Tierhaltung eine Zukunft geben
Fokus auf Düngerversorgung gefordert
Der Raiffeisenpräsident wirft Özdemir zudem vor, zu wenig mit der Wirtschaft das Gespräch zu suchen. So zwinge Putin zwingt Deutschland zur Realpolitik. Daraus folgt für Holzenkamp, dass der Bundeslandwirtschaftsminister eine Bestandsaufnahme vornimmt, wo die in Deutschland benötigten Düngemittelimporte herkommen, wer sie produziert, ob es bei den Gegebenheiten überhaupt noch ausreichend Düngemittel für die nächste Aussaat geben wird. „Wir haben bisher nicht wahrgenommen, dass das Ministerium das Gespräch mit der Wirtschaft gesucht hat, um eine solche Bestandsaufnahme zu bekommen“, stellt Holzenkamp fest.
Klare Agenda bis zum Sommer
Trotz der Unzufriedenheit mit der bisherigen Agrarpolitik hat der Raiffeisenpräsident noch Geduld. Bis zum Sommer erwartet er aber eine klare Agenda, auf die sich die Agrarbranche einstellen kann. Sonst werde Özdemir seinem Amt nicht gerecht. „Diese Zeit geben wir dem Minister, auch weil sich die Rahmenbedingungen seit dem 24. Februar fundamental verändert haben. Darauf muss er reagieren können“, gewährt Holzenkamp noch eine Schonfrist. Aber spätestens zur Sommerpause müsse Minister Özdemir liefern.
„Mir tun die Bauern leid“: So reagieren Leser auf Özdemirs Auftritt
Strategie beim Umbau der Tierhaltung vermisst
Das bezieht der DRV-Präsident auch auf den Umbau der Tierhaltung. So habe der Verband klare Vorschläge zur Finanzierung und Haltungskennzeichnung gemacht, doch eine Reaktion des Ministeriums stehe noch aus. Holzenkamp kritisiert, dass klare politische Akzente derzeit nicht erkennbar seien. Landwirte und Verarbeitungsunternehmen fragen schon seit längerem und völlig zurecht, wohin der Weg führt mit der Tierhaltung in Deutschland. Eine Antwort auf diese Frage sei die Voraussetzung, um planen und investieren zu können. „Das haben wir dem Minister sehr deutlich zu verstehen gegeben. Ich hoffe, dass in den nächsten Wochen eine klare Agenda kommt,“ so Holzenkamp.
Strukturelle Veränderungen wird es weiter geben
Nach seiner Einschätzung stehen sehr viele Tierhalter vor der Frage, ob sie überhaupt noch weitermachen wollen. Ein Wachsen oder Weichen stehe auf vielen Betrieben derzeit nicht zur Debatte. Özdemir hatte angekündigt, mit dem Umbau der Tierhaltung dieses Credo beenden und den Strukturwandel verlangsamen zu wollen. Laut Holzenkamp wird es dennoch weiter strukturelle Veränderungen geben. Investitionen rechneten sich nun mal in der Regel erst ab gewissen Größenordnungen. „Allerdings glaube ich schon, dass sich mit einer Umsetzung des Borchert-Konzepts der Strukturwandel verlangsamt, allein schon weil nicht mehr so sehr die Menge im Vordergrund steht, sondern die Qualität der Erzeugung.“