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Tierhaltungskennzeichnung beschlossen – zufrieden ist damit niemand
Der Deutsche Bundestag hat heute (16.06.) für das Tierhaltungskennzeichnungsgesetz und die Baurechtsänderung zum Stallumbau gestimmt. Damit hat die stark in der Kritik stehende Tierhaltungskennzeichnung die entscheidende Hürde genommen.
Mit den Stimmen von SPD, Grünen und FDP wurde dem Tierhaltungskennzeichnungsgesetz heute grünes Licht erteilt. Alle Oppositionsfraktionen stimmten dagegen.
Die Baurechtsänderung ging ebenfalls mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen sowie der AfD-Fraktion durch. Dagegen waren die Union und die Linke. Ställe von Tierhaltern, die nicht über ausreichend Fläche beziehungsweise Futter verfügen, sollen durch die Änderung reprivilegiert werden.
In der Plenardebatte betonen alle drei Koalitionspartner, dass die Haltungskennzeichnung nur ein erster Schritt beim Umbau der Tierhaltung sei. Von der Vielzahl an Änderungsvorschlägen, die im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens von der Praxis und von Interessenvertretungen immer wieder geäußert wurden, ist nur ein kleiner Teil berücksichtigt worden.
Beide Gesetze bedürfen nicht der Zustimmung des Bundesrats. Eine Anrufung des Vermittlungsausschusses ist nicht zu erwarten. Im November 2022, vor der ersten Lesung im Bundestag, hatte die Länderkammer dem Gesetzentwurf grundsätzlich zugestimmt und ist nicht der Ausschussempfehlung gefolgt, diesen abzulehnen.
Ampel konnte 20 Prozent mehr Platz in Stufe „Stall + Platz“ nicht halten
Die wenigen Änderungen, die die Koalition in das Tierhaltungskennzeichnungsgesetz eingearbeitet hat, bewirken keine Ausweitung der Kennzeichnung auf andere Tierarten, importiertes Fleisch, verarbeitetes Fleisch oder die Gastronomie.
Geändert wurde das zusätzliche Platzangebot für die Haltungsform „Stall + Platz“. Es wurde von den ursprünglich geplanten 20 Prozent auf 12,5 Prozent abgesenkt. In der Beschlussempfehlung des Agrarausschusses heißt es, dass „intern über verschiedene Punkte gerungen worden sei“. Es habe sowohl Verbesserungen und „manchmal Veränderungen“ gegeben.
Darüber hinaus ist durch den Änderungsantrag von SPD, Grünen und FDP die Haltungsform „Auslauf/Freiland“ in „Auslauf/Weide“ umbenannt worden. Zusätzlich können Lebensmittel beigemischt werden, die von Tieren aus einer anderen Haltungsform als der gekennzeichneten stammen, ohne dies explizit kennzeichnen zu müssen.
Ein Antrag der AfD, mit dem die Fraktion die Herkunftskennzeichnung für verarbeitete Lebensmittel erreichen wollte, wurde in der heutigen Sitzung abgelehnt.
Ampel verpflichtet sich zur Ausweitung der Tierhaltungskennzeichnung
Mehrfach versicherten die Koalitionäre während der Debatte, dass das Gesetz zur Tierhaltungskennzeichnung nur ein erster Schritt sei und die noch fehlenden Punkte ergänzt würden. Dazu haben die drei Fraktionen einen Entschließungsantrag verfasst. Er sieht unter anderem vor, dass die Bundesregierung nach der parlamentarischen Sommerpause 2023 eine Änderung des Tierhaltungskennzeichnungsgesetzes vorlegt, in dem Ferkel, Zuchteber, Jungsauen, Muttersauen, andere Tierarten sowie die Gastronomie berücksichtigt werden. Zudem soll eine Arbeitsgruppe prüfen, wie immissionsschutzrechtliche Vorgaben im Sinne des Umbaus der Tierhaltung beseitigt werden können. Bis zum Ende der Legislaturperiode solle es eine klare Perspektive für alle Tierhalter geben. Neben den Koalitionsfraktionen stimmte auch die AfD dem Entschließungsantrag zu.
Die noch bestehenden Lücken im Gesetz bildeten auch den Schwerpunkt in der Plenarsitzung. Emotional und laut ging es in der Debatte zu, die nach anhaltenden Zwischenrufen von Grünen-Politikerin Renate Künast durch Vizepräsidentin Petra Pau kurzzeitig unterbrochen werden musste.
FDP geht von Beibehaltung der Tierzahlen aus
In einer Kurzintervention wandte sich Hermann Färber (CDU), Vorsitzender des Agrarausschusses, an seine Vorrednerin Susanne Mittag (SPD). Färber erinnerte an eine Delegationsreise des Ausschusses nach Dänemark und die Niederlande. Dort sei den Agrarpolitikern eine Ferkelkastration vorgeführt worden, die nicht dem deutschen Standard entsprach, worauf unter anderem Susanne Mittag den Raum verlassen habe. Färber fragte, warum diese Ferkel nach einer Mast in Deutschland „mit dem höchsten staatlichen Tierschutz-Orden ausgezeichnet werden“ können.
Der FDP-Politiker Ingo Bodtke erklärte, dass die Bundesregierung den Grundstein für eine marktwirtschaftliche Entwicklung hin zu mehr Tierwohl gelegt habe. In der Baurechtsänderung sei eine Abstockung des Tierbestands als Voraussetzung mit den Liberalen nicht zu machen gewesen.
Artur Auernhammer (CSU) zeigte sich enttäuscht darüber, dass die FDP alles mittrage. Die Regierung habe Tür und Tor dafür geöffnet, dass Ferkel importiert werden, die nicht nach deutschen Standards kastriert wurden. In den Gesetzen überhaupt nicht widergespiegelt würden die Ergebnisse der Borchert-Kommission.
„Sie geben schäbige 150 Mio. aus und glauben, dadurch passiert etwas“, sagte Albert Stegemann (CDU) an Renate Künast gewandt. Durch die Gesetzesänderungen werde kein Stall umgebaut und kein Landwirt werde zusätzlich investieren. „Die Grünen stehen am Spielfeldrand und applaudieren, dass die Tierhaltung niedergeht“, so Stegemann. Zum neuen Baurecht erklärte Franziska Mascheck (SPD), dass vor allem wegen des Mangels an Flächen nicht alle Betriebe repriviligiert werden könnten. Ermöglicht worden sei die Errichtung von Ersatzbauten sowie der Wechsel der Tierart.
Tierwohl und Umweltschutz beim Stallbau verbinden
DBV drängt auf Anpassung des Immissionsschutzrechts
In der Baurechtsänderung sieht Bernhard Krüsken, Generalsekretär des Deutschen Bauerverbands (DBV) nur einen ersten Schritt. Er kritisiert, dass hier die Sauenhaltung nicht mit einbezogen werde. „Den hohen Anforderungen der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung können die sauenhaltenden Betriebe jetzt schon seit zwei Jahren nicht nachkommen. Zudem fehlt ein Gleichklang im Immissionsschutzrecht. Es hilft nicht, das Baurecht für Tierwohl freizuschalten, wenn die Ställe im zweiten Schritt wegen den damit verbundenen Emissionen dann doch nicht geöffnet werden dürfen“, sagt Krüsken.
Ähnlicher Auffassung ist Torsten Staack, Geschäftsführer der Interessegemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands (ISN). „Die Änderung des Baugesetzbuches führt nicht zur Beseitigung der Stall(um)baubremse, denn dafür müssen zunächst die weiteren Hürden ausgeräumt werden. Nur so ergibt sich ein tragfähiges Gesamtkonzept“, erklärt Staack.
Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) begrüßt, dass sich die Bundesregierung zum Umbau der Tierhaltung bekannt hat und fordert die FDP auf, „ihre Blockadehaltung zu beenden und die Finanzierung angelehnt an die Pläne der sogenannten Borchert-Kommission zu unterstützen“.
Provieh: Völlig ungeeigneter Grundstein für den Umbau der Tierhaltung
Vor der Abstimmung im Bundestag kündigte die Tierschutzorganisation Provieh gestern (15.05.) an, sich mit einem offenen Brief an die Bundestagsfraktionen wenden zu wollen. Provieh forderte von den Abgeordneten, sowohl das Tierhaltungskennzeichnungsgesetz als auch das Gesetz zur Erleichterung baulicher Anpassungen abzulehnen. „Insbesondere SPD und Grüne müssen verhindern, dass mit [der staatlichen Haltungskennzeichnung] ein völlig ungeeigneter Grundstein für Transparenz und Umbau der Tierhaltung gelegt wird“, kritisiert Anne Hamester, Leiterin für Facharbeit und Politik bei Provieh.
„Tierschutz-Vorreiterländer“ wie Österreich würden derzeit Haltungsformen für Schweine verbieten, die in Deutschland durch die Gesetzesänderungen künftig sogar gefördert würden. Aus Sicht der Organisation seien Bezeichnungen wie „Auslauf/Weide“ oder „Stall + Platz“ beschönigend und führten zu Verbrauchertäuschung.