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Wölfe in Deutschland: Keine Koexistenz ohne Management
Immer mehr Wölfe, immer mehr Risse – die Politik muss endlich handeln, fanden Praktiker, Politiker und Forscher auf einem Treffen in Berlin. Bei diesem Wolfsgipfel gingen sie einer Frage nach: Wie viele Wölfe verträgt ein Land?
Es ist bereits fünf nach zwölf: Die Ausbreitung des Wolfes in Deutschland stellt Tierhalter vor existenzielle Probleme. Das machten mehrere Landwirte, Nutztierhalter, Wissenschaftler sowie Politiker auf dem Wolfsgipfel, veranstaltet von der 4D. Digitalagentur für das Land eG in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Bauernverband (DBV), vergangenen Freitag in Berlin deutlich. Dabei wurde klar: Der Wolf ist und bleibt ein emotionales Streitthema. Die Fronten scheinen festgefahren – und gleichzeitig wird das Leid der Tierhalter und damit der Handlungsdruck immer größer. Der Bund müsse nun endlich den Wolfsbestand regulieren, da waren sich alle Teilnehmer einig.
Weidetierhalter Opfer einer verfehlten Politik
Momentan habe es den Anschein, dass die Weidetierhaltung Opfer einer verfehlten Politik werde, stieg Eberhard Hartelt, Umweltbeauftragter des DBV und Präsident des Bauern- und Winzerverbandes Rheinland-Pfalz Süd, ein. Er wies daraufhin, dass das Bundesumweltministerium trotz Einladung nicht erschienen war. „Ob es nicht konnte, oder nicht wollte, das sei mal dahingestellt“, bemerkte er.
Forderungen des Bauernverbands an die Politik
Der DBV stellte folgende Forderungen an die Politik, um die Wolfspolitik grundlegend zu ändern:
- Meldung des günstigen Erhaltungszustands des Wolfes an die EU-Kommission.
- Unverzügliche und unbürokratische Entnahme von „Problemwölfen und -rudeln“ nach geltendem Naturschutzrecht in den Ländern.
- Ausweisung von wolfsfreien Gebieten.
- Festlegung einer Entnahmequote und Schaffung eines Bestandsmanagements nach dem Koalitionsvertrag der Regierungsfraktionen. Die Erfahrungen anderer europäischer Mitgliedsstaaten sollten hierfür berücksichtigt werden.
- Nutzung aller Spielräume des europäischen Naturschutzrechts und Schaffung der Grundlagen für eine Regulierung des Wolfsbestandes im Bundesnaturschutzgesetz und im Bundesjagdgesetz.
- Umstufung des Wolfes von Anhang IV zu Anhang V in der FFH-Richtlinie auf europäischer Ebene, da das hohe Schutzniveau nicht mehr geboten ist.
- Volle Transparenz über den Wolfsbestand in Deutschland und Umstellung auf ein länderübergreifendes Wolfsmonitoring mit den Nachbarländern.
- Überarbeitung des Rissbegutachtungsverfahrens in Anlehnung des niedersächsischen Verfahrens, mit Umkehr der Beweislast und unbürokratischer Auszahlung von Entschädigungen.
Schreinicke: Herdenschutzmaßnahmen wirken nicht
Jens Schreinicke, Landwirt und Wolfsbeauftragter des Landesbauernverbandes Brandenburg, beichtete von seinen Erfahrungen in der Praxis: Herdenschutzmaßnahmen wirken nicht. Er riet Bundesumweltministerin Steffi Lemke dazu, mit den „Märchen“ aufzuhören, die Fakten anzunehmen und die Spielräume der FFH-Richtlinie zu nutzen, um eine Bestandregulierung auch in Deutschland möglich zu machen. Immerhin, so erläuterte Schreinicke, wurde der Bundestag bereits im Januar dieses Jahres von Wissenschaftlern davon unterrichtet, dass der Wolf aus europäischer Sicht seinen günstigen Erhaltungszustand erreicht habe. Zudem würden in Schweden Wölfe bejagt, zeitgleich solle dies in Deutschland wegen geltenden EU-Rechts aber nicht möglich sein. Das erschien dem Landwirt aus Brandenburg nicht schlüssig.
Wolfsmanagement-Vorbild Schweden?
Schwedens Wolf-Abschussplan sei tatsächlich von der EU-Kommission nicht beanstandet worden, berichtete Alexander Bernhuber, Mitglied des Europäischen Parlamentes der EVP-Fraktion. Auch Österreich hat kürzlich eine neue Wolfsverordnung erlassen, die eine schnellere und striktere Reduktion des Wolfsbestandes ermöglicht. Ganz ähnlich sei die ebenfalls vor Kurzem erlassene Wolfsverordnung in Bayern, erklärte Michaela Kaniber, bayerische Landwirtschaftsministerin. „Wie viele Wölfe verträgt ein Land?“ fragte sie in die Runde. Für sie sei es unabdingbar, dass endlich gehandelt werde, damit die Situation nicht eskaliere und die Menschen auf dem Land nicht zur Selbstjustiz greifen. „Aufgeknüpfte Wölfe, mit dem Fell über die Ohren gezogen, will schließlich niemand sehen.“ Für die vor allem von Naturschützern vertretende Meinung, Zäune und andere Maßnahmen reichten aus, um Nutztiere zu schützen, fand sie deutlich Worte: „Das ist Blödsinn“ und „völlig überzogener Tierschutz.“
Weidetierhaltung unabdingbar
Dabei sei die Weidetierhaltung unabdingbar für den Erhalt der Offenlandschaften, erläuterte Prof. em. Dr. Hans Dieter Pfannenstiel, Biologe Fachrichtung Zoologie. Soll beides erhalten bleiben – Weidetiere und Wolf – müssen geeignete Maßnahmen ergriffen werden, darunter falle auch eine Regulation des Wolfsbestandes. In Rumänien, Bulgarien und Italien ist dies gängige Praxis, sagte Pfannenstiel. „Eine friedliche Koexistenz lässt sich nur durch eine planmäßige und kontrollierte Bejagung des Wolfes erreichen“, fasste der Experte zusammen. Mit Studien widerlegte er zudem die Behauptungen, dass mit einer Bejagung die Reproduktionsrate der Wölfe und Risszahlen steigen würden.
Es braucht ein Bestandsmanagement
Die abschließende Diskussion wurde hitzig und emotional geführt, was nicht zuletzt auch daran gelegen haben dürfte, dass auch Jörg-Andreas Krüger, Präsident des Naturschutzbund Deutschland (Nabu), daran teilnahm. Der Standpunkt des Nabu stand in einigen Punkten denen der anderen Anwesenden konträr gegenüber: Eine Bejagung der Wölfe würde nicht helfen, vielmehr müssten noch mehr Herdenschutzmaßnahmen finanziert werden, damit die Nutztiere ausreichend sicher seien, so der Präsident. Trotz eingehender Schilderungen aus der Praxis, dass Zäune allein nicht funktionieren, rückte Krüger nicht von dieser Meinung ab. Kaniber zeigte sich im Laufe der Diskussion enttäuscht über „die Unbeweglichkeit der Argumente.“ „So kommen wir nicht weiter“, sagte sie, schließlich wolle niemand den Wolf ausrotten.
Landwirt Schreinicke riet dem Nabu-Präsidenten: „Stellen Sie sich der Realität, Herr Krüger. Die Menschen verlieren sonst den Glauben an die Politik und das ist verdammt gefährlich.“
Trotzdem waren sich alle Anwesenden einig: Die Anwesenheit des Wolfes in Deutschland ist ein Erfolg, aber – mit Ausnahme Kürgers - es brauche nun ein Bestandsmanagement. Der Nabu-Präsident stimmte den anderen Teilnehmern aber zu, dass der Wolf in Europa keine gefährdete Art mehr sei.
Eine Frage aus dem Publikum, warum man den Schutz einer in Europa gut vertretenden Art davon abhängig mache, dass es beispielsweise in Bayern nur eine Handvoll Wölfe gebe, blieb allerdings unbeantwortet.