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Unberührter Wald: 50 Jahre Naturwälder in Niedersachsen
Von der Natur lernen, die frei ist von menschlichen Einflüssen, und dieses Wissen für eine nachhaltige Bewirtschaftung des Waldes nutzen – das war das Ziel, als 1972 die ersten Naturwälder in Niedersachsen ausgewiesen wurden.
Angeführt von Forstamtsleiter Christian Weigel und seinem Team ging es kürzlich in einen der ältesten Naturwälder Niedersachsens – das im Niedersächsischen Forstamt Oldendorf gelegene Süntel-Gebirge. Der Anlass: das Jubiläum „50 Jahre Naturwälder in Niedersachsen“.
Mit von der Partie war auch Forstministerin Barbara Otte-Kinast. Sie betonte, dass Flächen mit eigendynamischer Entwicklung zu einer naturnahen und multifunktionalen Waldbewirtschaftung dazugehörten, damit die Leistungen für Natur, Biodiversität, Mensch, Wirtschaft und Klimaschutz auf Dauer erfüllt werden können.
Von jetzt an unberührt
In Naturwäldern werden keine Bäume gefällt oder gepflanzt und keine Forstwege gebaut. Allein Mutter Natur hat das Sagen. Die ersten Wälder dieser Art stehen bereits seit 1972 unter Schutz und die Bäume darin sind teils mehrere hundert Jahre alt. Indem sie ohne menschlichen Einfluss wachsen, alt werden und zerfallen, laufen die Prozesse in ihrer ganz natürlichen Dynamik ab.
Insgesamt wurden über ganz Niedersachsen verteilt bislang 173 Naturwälder ausgewiesen; bis auf vier Flächen befinden sie sich im Eigentum der Niedersächsischen Landesforsten und machen dort einen Flächenumfang von 11.000 ha aus. Die Schutzgebiete verteilen sich über alle Naturräume des Landes und bilden die unterschiedlichen Waldgesellschaften und Wuchsbedingungen ab.
Der Süntel bei Hessisch Oldendorf gehört mit 1.300 ha zu den größten zusammenhängenden Naturwäldern außerhalb des Nationalparks Harz. Das zuletzt im Zusammenhang mit dem „Niedersächsischen Weg“ ausgewiesene Wildnisgebiet im Solling umfasst gut 1.000 ha; im Biosphärenreservat Elbtalaue sind es ca. 700 ha und im Drömling rund 500 ha.
Die Naturwälder sind Teil einer 34.000 ha großen Gebietskulisse, in der gänzlich auf forstliche Pflege- und Holzerntemaßnahmen verzichtet wird. Diese sogenannten „Urwälder von morgen“ machen 10 % der Landeswaldfläche aus.
Wozu gibt es die strengen Schutzgebiete?
Doch warum müssen Waldflächen überhaupt einer natürlichen Entwicklung überlassen und aus der Nutzung genommen werden, wenn nachgewiesenermaßen naturnah bewirtschaftete strukturreiche Mischwälder ebenfalls eine hohe Biodiversität aufweisen? Der Grund dafür liegt in der Existenz von seltenen Arten, die auf urwaldähnliche Strukturen angewiesen sind. Werden solche Lebensräume durch Bewirtschaftung verändert, bedeutet das häufig das Aus für diese Arten und solche, die mit ihnen assoziiert sind.
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Naturwälder sind auch wichtig für die Forschung
Naturwälder dienen aber nicht nur dem Artenschutz, sondern sind auch ein wichtiges Forschungsobjekt, in dem die Verjüngung, das Wachstum und Absterben der Gehölze beobachtet werden. „Naturwälder liefern uns auch jetzt, in Zeiten großflächiger Waldschäden, wertvolle Erkenntnisse“, erklärte Dr. Klaus Merker, Präsident der Niedersächsischen Landesforsten, anlässlich des Jubiläums. Die Untersuchungen werden von Fachleuten der Nordwestdeutschen Forstlichen Versuchsanstalt (NW-FVA) am Standort Hann. Münden durchgeführt.
Renommierte Forschung
„Die in den Naturwäldern über fünf Jahrzehnte hinweg entstandenen Zeitreihen und Einzeluntersuchungen haben eine weit über die Grenzen des Bundeslandes hinausreichende Bedeutung“, erklärte Dr. Marcus Schmidt von der Abteilung Waldnaturschutz der NW-FVA.
Aktuell richte sich der Fokus der Forschungsarbeiten auf die Erfassung der waldtypischen Biodiversität. Die NW-FVA hat ein Monitoringverfahren entwickelt, mit dem der landesweite Beitrag der Naturwälder und des naturnah bewirtschafteten Waldes zur biologischen Vielfalt messbar ist.