Landwirte, Gesellschaft und Politik stehen vor der Frage: Welche Ziele können wir zurückstellen, wenn Ernährungssicherheit Vorrang haben soll?
Die Ereignisse in der Ukraine überschlagen sich, und das Landvolk erhält viele Anfragen, wie sich der furchtbare Ukraine-Krieg auf Niedersachsens Landwirtschaft und auf die Ernährungssicherheit auswirkt.
Ernährungssicherheit: Die Unsicherheit wächst
Die Unsicherheit wächst, aber Fakt ist: die Gesellschaft erwartet von uns Bauern, dass wir ihre Ernährung sicherstellen. In Deutschland und Europa wird die Bevölkerung weiterhin ausreichend Lebensmittel kaufen können - wenn auch zu weitaus höheren Preisen. Länder in Nordafrika können dies nicht – und Hunger ist ein starker Grund, seine Heimat zu verlassen.
Wo gibt es Freiraum für mehr Produktion?
Dazu darf es nicht kommen. Deshalb stehen Landwirte, Gesellschaft und Politik vor der Frage: Welche Ziele können wir zurückstellen, wenn Ernährungssicherheit Vorrang haben soll? Angebote seitens der Landwirtschaft liegen auf dem Tisch. Entscheiden muss nun die Politik, ob und wo die Bauern mehr Freiraum bekommen, um mehr Nahrungsmittel zu erzeugen. Und sie muss dafür die nötigen Rahmenbedingungen schaffen. Damit wir dürfen, was wir können.
Ökologische Vorrangflächen freigeben
Zum Beispiel Ökologische Vorrangflächen (ÖVF) für den Anbau von Eiweißpflanzen oder gar für mehr Weizen freigeben - viele Bäuerinnen und Bauern sind zu solchen Schritten sofort bereit, aber dafür sind Saatgut, Pflanzenschutzmittel und vor allem Dünger nötig. Dünger ist der knappste Faktor, weshalb wir ihn jetzt wieder effizient und nach dem Pflanzenbedarf einsetzen sollten und nicht nach politischer Vorgabe „pauschal minus 20 Prozent“ in den Roten Gebieten.
Ukraine-Krieg: Die Lage realistisch einschätzen
Eine Million Tonnen Getreide mehr kurzfristig möglich
Nach Abschätzung des Landvolks wäre eine Steigerung der Getreideerzeugung (ohne Körnermais) in Niedersachsen bei Rücknahme aller beschränkenden Maßnahmen um bis zu eine Million Tonnen Getreide kurzfristig möglich, das heißt um mehr als 10 Prozent gegenüber dem langjährigen Mittel von gut 6 Mio. Tonnen. Gegenüber den Erwartungen für 2023, die durch die neue GAP einen erheblichen Produktionsrückgang gegenüber dem Status Quo erwarten lassen, wäre eine Mehrproduktion von 1,5 Mio. Tonnen ein denkbares Ergebnis.
Klimaschutz bleibt wichtig - mit der richtigen Umsetzung
Viele Landwirte sind aus Überzeugung in die Natur- und Klimaschutzprojekte eingestiegen, denn wir benötigen mehr Artenvielfalt auf unseren Feldern zwecks Bestäubung, Nützlingsförderung und Erosionsschutz für eine langfristige Produktivität. Klima- und Naturschutz bleiben wichtige Ziele, aber die Umsetzung hat viel Verbesserungspotenzial.
Wir Landwirte wollen keine „Rolle rückwärts“ in Sachen Umweltschutz und Biodiversität. Ohne Klimaschutz ist keine Ernährungssicherung möglich. Aber in Krisenzeiten gilt es zu überprüfen, welche Maßnahmen Priorität haben. Die Agrarministerkonferenz am 1. April wird hoffentlich kein Aprilscherz, sondern im Sinne einer nachhaltigen Ernährungssicherung entscheiden. Für die Umsetzung einer Extensivierungsstrategie à la „Farm-to-Fork“ ist definitiv der falsche Zeitpunkt.