Die konventionelle Moornutzung steht klimaschutzmäßig im Fokus. Die Forderungen nach Vernässung der Moore stehen im Raum. Dämmstoffe aus Paludikulturen könnten ein Teil der Lösung sein. Ein Beispiel.
Seit einigen Jahren wird auf den niedersächsischen Niedermoorböden nach alternativen Anbauformen gesucht, die ein langfristiges Einkommen sichern und gleichzeitig die Torfzersetzung stoppen. Paludikultur – die nasse Bewirtschaftung von Moorböden – kann die Torfmineralisation aufhalten und das bei gleichzeitiger Nutzung der Böden. Dafür können verschiedene, an hohe Wasserstände angepasste Kulturen, wie z.B. Schilf oder Rohrkolben, eingesetzt werden.
Dämmstoff aus Schilf oder Rohrkolben? Das geht!
Der großflächige Anbau setzt allerdings voraus, dass es langfristige und wirtschaftliche Verwertungsmöglichkeiten der geernteten Rohstoffe gibt. Bislang wurde diese Voraussetzung nicht erfüllt. Deshalb haben das 3N Kompetenzzentrum Niedersachsen Netzwerk Nachwachsende Rohstoffe und Bioökonomie e.V., das Unternehmen Janssen Holzbau GmbH und das Institut für Materialprüfung an der Jade Hochschule am Campus Oldenburg mit der Entwicklung eines Einblasdämmstoffes aus heimischem breitblättrigem Rohrkolben (Typha latifolia) begonnen. Das Vorhaben wird im Rahmen des deutsch-niederländischen, von der EU geförderten, INTERREG-Projekts "Bioökonomie – Grüne Chemie" der Ems Dollart Region (EDR) durchgeführt.

Das Einblas-Dämmmaterial aus Rohrkolben wurde durch das 3N Kompetenzzentrum e.V. entwickelt und getestet. © Beyer
Holzknappheit: Wenn Baustoffe immer teurer werden
Im Test: verschiedene Dämmmaterialvarianten
Im Labor des Instituts für Materialprüfung an der Jade Hochschule wurden verschiedene Dämmmaterialvarianten bauphysikalischen Tests unterzogen. Untersucht wurden verschiedene Halmgrößen und Rohstoffherkünfte sowie Mischungen. Zudem wurde die Rohrkolben-Biomasse mit Holzwolle gemischt, um ein setzungssicheres Material zu erhalten. Die Mischung aus Rohrkolben und Holzwolle erwies sich unter Testbedingungen als formstabiles Dämmmaterial, welches nur eine geringe Setzung hat.
Was ist der "Science Cube"?
Um die Einsatzfähigkeit unter realen Bedingungen zu erproben, wurde das Dämmmaterial in einem neuen Gebäude in Holzständerweise, dem Science Cube, verbaut. Das Modulgebäude aus Holz der Firma Janssen Holzbau GmbH, ist so konzipiert, dass die Gefache ohne großen Aufwand geöffnet werden können, um Dämmmaterialien und Messtechnik auszuwechseln. Dadurch können neue innovative Entwicklungen jederzeit in der Praxisanwendung getestet werden. Das Gebäude dient auch der Informationsvermittlung und wendet sich an alle interessierten Personen. Der Science Cube wurde bereits im letzten Jahr aufgestellt und vor wenigen Wochen konnte die umfangreiche Messtechnik in Betrieb genommen werden.
Nachhaltige Dämmung im Test
Das Team um Prof. Dr. Heinrich Wigger aus Oldenburg und das 3N Kompetenzzentrum unter Leitung von Dr. Marie-Luise Rottmann-Meyer haben das Gebäude mit moderner Messtechnik ausgestattet und eine Wetterstation aufgestellt, die Witterungskennwerte erfasst. Mit den aufgezeichneten Messdaten wird im Anschluss der Wärme- und Feuchtetransport mithilfe von hygrothermischer Simulationssoftware nachgestellt und die Dauerhaftigkeit der Baukonstruktion bauphysikalisch geprüft.
Erfahrungen aus anderen Projektvorhaben geben erste positive Einschätzungen. Dämmmaterialien aus Rohrkolben zeigen eine ähnliche Dämmwirkung wie andere Dämmstoffe aus nachwachsenden Rohstoffen, wie z.B. Hanf. Gegenüber Dämmstoffen aus fossilen Rohstoffen haben Dämmmaterialen aus Rohrkolben weitere Vorteile: Es wird ein angenehmes Raumklima und ein kühlender Effekt im Hochsommer erzeugt, der Dämmstoff ist diffusionsoffen und kapillaraktiv und sorgt aufgrund seiner hohen Dichte für einen guten Schallschutz, wie erste Untersuchungen des Fraunhofer-Instituts für Bauphysik IBP (Holzkirchen) zeigen.

Messsensoren an den Außenwänden der nachhaltig produzierten Dämmplatten. © Beyer
Wiedervernässte Moorböden: Emissionen auf fast Null reduzieren
Vor allem aber stellt das Dämmmaterial aus Rohrkolben eine klimafreundliche Innovation dar, weil diese heimische Pflanze in vernässten Moorböden angebaut werden kann. In Niedersachsen ist ein großer Teil der Moorböden entwässert worden und große Mengen an Treibhausgasen werden an die Atmosphäre abgegeben. Durch den Anbau von z.B. Rohrkolben können auf wiedervernässten Flächen die Emissionen auf fast Null reduziert und die Böden als CO2-Speicher genutzt werden. Damit könnte dieses Dämmmaterial einen Beitrag zur Senkung der Treibhausgasemissionen Niedersachsens leisten. Der nachwachsende Rohstoff kann regional produziert, verarbeitet und vermarktet werden. Die laufenden Untersuchungen und Testreihen bilden hierfür die Grundlage.
Den ganzen Artikel lesen Sie in der aktuellen Ausgabe der LAND & FORST 44/21.