Anne und Julian Schrage aus dem Schaumburger Land sind Gemüseretter. Sie bewahren Obst und Gemüse davor, im Müll zu landen, wenn der Handel sie aufgrund von Äußerlichkeiten nicht annehmen möchte. Gelebte Lebensmittelwertschätzung.
Das Rad haben sie mit ihrer Idee nicht neu erfunden, doch das müssen Anne und Julian Schrage auch gar nicht. Auf die Idee der Gemüserettung kam das Ehepaar vor vier Monaten. Sie erfuhren von einer Freundin aus Nordrhein-Westfalen von einer Initiative namens „Obst verbindet“. Das Bielefelder Start-Up rettet Gemüse und Obst, das es nicht in die Supermärkte, also in den Handel geschafft hat. Beide schlossen sich dem Netzwerk an und sind nun eine der ersten Verteilstationen in Niedersachsen. Die Ware kommt jeden Donnerstag aus Bielefeld. Dann wird sie auf dem Hof der Schrages in Kisten verteilt. Viele ihrer Kunden bestellen inzwischen regelmäßig.
Zu klein, zu krumm, zu reif?
„Es macht uns einfach viel Freude. Wenn man sieht, was für Lebensmittel normalerweise im Müll landen würden, die völlig in Ordnung sind, das ist für uns einfach der Wahnsinn, und da sind wir auch gerne dabei, wenn es darum geht, die zu retten und tragen das auch raus, in die Welt“, sagt Julian Schrage. Auch er weiß, dass jeden Tag große Mengen an Lebensmitteln entsorgt werden, weil sie nicht den Erwartungen des Handels entsprechen. Die größten Faktoren: zu klein, zu krumm, zu reif. Aber auch kurzfristige Sortimentsänderungen der Supermärkte oder im Stau stehende Lieferanten können dazu führen, dass das Obst und Gemüse seinen Weg nicht ins Regal, sondern in den Müll findet.
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12 Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll - pro Jahr
Pro Jahr landen in Deutschland somit 12 Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll. Niedersachsens Anteil dürfte bei mindestens eine Millionen Tonnen im Jahr sein. Genaue Zahlen das das Niedersächsische Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft nicht, verweist aber auf das UN-Ziel, zu dem sich Deutschland verpflichtet hat: bis 2030 sollen die Lebensmittelverluste halbiert werden.
Initiative startete mit drei Leuten
Der Initiator hinter „Obst verbindet“ ist Erhan Berse. Als Groß- und Außenhandelskaufmann hat der 43-Jährige jahrzehntelange Erfahrung in der Branche, hat auf dem Großmarkt gearbeitet und für Handelsketten. Er konnte viele Jahre beobachten, wie Lebensmittel im großen Stil vernichtet wurden. In ihm wuchs der Wunsch gegenzusteuern. „Obst verbindet“ entstand. Im vergangenen Sommer begann Berse mit drei Leuten. Nun sind es bereits 30 Mitarbeiter, die die Mission unterstützen. Sie sortieren und sichten die Ware, verpacken und teilen sie zu. Jeden Tag retten sie rund zehn Tonnen Obst und Gemüse. Die Retterkisten gehen an die Verteilstationen oder werden direkt verschickt. Dabei gibt es verschiedene Angebote: Familien-, Single- und Kita-Kisten zum Beispiel. Der Preis liegt bei 16 Euro pro Kiste. Dabei sparen die Verbraucher in der Regel ein Drittel bis die Hälfte des Normalpreises ein.
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Schon 21 Stationen in Niedersachsen
Der größte Teil der Verteilerstationen befindet sich in NRW (100 Stationen), doch auch in Niedersachsen kann man an 21 Stationen zum Gemüseretter werden. Einer davon ist bei den Schrages in Auhagen. In ihrer Garage wollten sie ursprünglich nur die eigene Familie, Freunde und Bekannte günstig mit Obst und Gemüse versorgen. Nun ist aus ihrer Verteilstation ein kleiner Nebenerwerb geworden, hinter dem viel Organisation steckt. Der Gewinn daraus ist kaum nennenswert. Rund 75 Euro Gewinn hält das Ehepaar nach dem „Verteil-Donnerstag“ mit nach Hause. Es ist also nicht das Geld, das die beiden antreibt. Im Vordergrund stehen für sie die Freude an ihrem Netzwerk und die Nachhaltigkeit der Idee. Sie hoffen auf Nachahmer in Niedersachsen und darauf, dass das Thema Lebensmittelwertschätzung auf mehr Interesse bei den Verbrauchern stößt.