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Interview zum Wolfsmanagement: "Isegrim regulieren und erhalten"
Prof. Dr. Hans-Dieter Pfannenstiel ist Biologe, Jäger und war lange Professor an der Freien Universität Berlin. Im Interview mit unserer Redakteurin Madeline Düwert erklärt er, warum es nur einen richtigen Umgang mit den Wölfen in Deutschland geben kann.
Prof. Dr. Pfannenstiel, was meinen Sie – kann eine friedliche Koexistenz zwischen Weidetierhaltung und Wölfen funktionieren?
"Den Wolf möchten ich und viele andere Menschen dauerhaft als natürliches Faunenelement in Deutschland behalten. Mit dem gegenwärtig praktizierten Weidetierschutz funktioniert friedliche Koexistenz jedoch nicht wie gewünscht, das zeigen schon alleine die offiziell bestätigten Risszahlen. Auf Dauer wird diese Koexistenz nur gelingen, wenn dem Wolf durch reguläre und kontrollierte Bejagung die Scheu vor Menschen, vor menschlichen Ansiedlungen und vor Weidetieren anerzogen wird."
Eine Bejagung von Wölfen ist aktuell nicht erlaubt. Was können Weidetierhalter jetzt konkret tun, um ihre Tiere besser zu schützen?
"Zäune, die das Attribut wolfsicher tatsächlich verdienen, kann man sich in Tierparks und Zoologischen Gärten anschauen. Solche „Bollwerke“ kann man nicht in die freie Natur bauen. Bisher haben Wölfe in Brandenburg, in dem Bundesland, in dem ich lebe, noch jeden Herdenschutzzaun überwunden. Auch Herdenschutzhunde sind wegen ihrer Aggressivität und oft auch aus Kostengründen kein Allheilmittel. Bleibt also nur die Hoffnung, Politik und Gesetzgeber mögen sich endlich entschließen, den Weg für eine reguläre Bejagung des Wolfs freizumachen. Dass das geht, ohne der Art Canis lupus zu schaden, zeigen verschiedene europäische Nachbarn. Hört die Beweidung in unserem Land großflächig auf, werden viele Offenlandarten verschwinden, unsere Kulturlandschaft wird sich stark verändern."
Wie sieht eine sinnvolle Regulation Ihrer Meinung nach aus?
"Regulierung heißt letzten Endes nichts anderes als Bejagung. Erlegen wir über einen Zeitraum von ein bis zwei Jahren konsequent jeden Wolf, der sich Menschen, Ansiedlungen und Weidetieren nähert, wird Isegrim wie anderes Wild auch, die Nähe des Menschen meiden. Deiche sowie montane und alpine Weidegebiete sollten dauerhaft wolfsfrei gehalten werden. Große naturnahe Flächen wie etwa Naturschutzgebiete oder Nationalparks könnten Wolfsschongebiete werden. Im Rest des Landes sollte Isegrim planmäßig und kontrolliert bejagt werden. Eine jährliche Abschussquote sollte entsprechende den Ergebnissen eines bundeseinheitlichen Monitorings in einem partizipativen Prozess aller Beteiligten, wie im Baltikum vorexerziert, festgelegt werden."
Sie sind für eine Bejagung. Es gibt aber auch die Behauptung, dass die Risszahlen steigen, wenn die Wölfe bejagt werden würden.
"Dazu gibt es Studien aus den USA. In den drei US-Bundesstaaten Idaho, Wyoming und Montana, in denen Weidewirtschaft betrieben und der Wolf bejagt wird, wurden über 25 Jahre lang die Entwicklung des Wolfsbestands und die Risszahlen von Weidetieren analysiert. Es zeigte sich, dass die Risszahlen steigen, wenn es mehr Wölfe gibt. Werden hingegen mehr Wölfe durch die Jagd erlegt und die Anzahl der Raubtiere sinkt, sinken auch die Risszahlen."
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Sie sind aber auch gegen eine Obergrenze für die Anzahl der Wölfe in Deutschland. Ist das nicht ein Widerspruch? Würde man sie entnehmen wollen, bräuchte es doch eine Obergrenze?
"Da man Wölfe nicht zählen kann, den Bestand also nicht genau kennt, ist meiner Meinung nach eine fiktive Obergrenze, die man ebenfalls nicht nachprüfen kann, wenig sinnvoll. Entscheidend ist, ob Wölfe scheue Wildtiere sind beziehungsweise bleiben. Das muss das Maß der Bejagung sein. Wenn wir auf diesem Weg die friedliche Koexistenz erreichen, ist es gleichgültig, wie viele Wölfe es bei uns gibt.
Trotzdem wird immer wieder gesagt, dass der günstige Erhaltungszustand des Wolfes in Deutschland definiert werden muss. Ist die Wolfspopulation also schon in einem günstigen Erhaltungszustand?
"Es gibt weder in Deutschland noch in jedem Bundesland eigene Wolfspopulationen! Deutsche Wölfe sind Bestandteil einer sogenannten Metapopulation, die man in Subpopulationen gliedern kann, wenn man das für nötig hält. Der wissenschaftlich nachgewiesene Genaustausch zwischen Wölfen vieler europäischer Länder einschließlich Deutschland zeigt, dass unser Wolfsbestand Teil einer riesigen Wolfspopulation ist. Es ist demnach ein fundamentaler Irrtum, wenn man für unseren Wolfsbestand isoliert den „günstigen Erhaltungszustand“ fordert, den die FFH-Richtlinie für Populationen vorschreibt. Die eurasische Metapopulation befindet sich und befand sich auch in den letzten Jahrtausenden stets im günstigen Erhaltungszustand. Das bliebe selbst so, wenn in Deutschland die Wölfe erneut komplett ausgerottet würden! Nach wie vor ist Isegrim eine der am weitesten verbreiteten Säugetierarten der Nordhalbkugel. Die Art ist weder gefährdet noch gar vom Aussterben bedroht, wie es immer wieder suggeriert wird. Wenn die frühere Ausrottung des Wolfs in Deutschland der Art geschadet hätte, wäre unser Land wohl kaum in so kurzer Zeit wieder äußerst dynamisch und erfolgreich vom Wolf besiedelt worden. Leider werden Tierschutz und Artenschutz oft verwechselt."
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Welche Voraussetzungen braucht es für eine Bejagung der Wölfe in Deutschland?
"Die Bundesregierung muss nach dem Beispiel Frankreichs oder Schwedens die bestmöglich ermittelte Zahl der deutschen Wölfe nach Brüssel melden und mitteilen, dass die Wolfspopulation, zu der unser Wolfsbestand gehört, sich eindeutig im günstigen Erhaltungszustand befindet. Gleichzeitig muss bei der EU beantragt werden, den Wolf in Deutschland von Anhang IV der FFH-Richtlinie nach Anhang V zu transferieren, also den Schutzstatus herabzustufen. Dann muss Isegrim ins Bundesjagdrecht als jagdbare Wildart aufgenommen werden. Dauerhaft wird sich das Wolfsproblem der Weidewirtschaft nicht mit den Ausnahmetatbeständen des Artikels 16 der FFH-Richtlinie lösen lassen."