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Keine Trennung von Kuh und Kalb: Kuhgebundene Kälberaufzucht
Kuh und Kalb nach der Geburt zu trennen, hat sich über Jahre als gängige Praxis in der Milchviehhaltung etabliert. Die kuhgebundenen Aufzucht als Alternative bietet Chancen, bringt aber auch einige Herausforderungen mit.
Dass Milchviehhalter Kuh und Kalb kurz nach der Geburt trennen, ist einer der Aspekte, den Verbraucher oft kritisieren. Obwohl es gute Gründe für die Trennung gibt, wächst das Interesse an der kuhgebundenen Aufzucht. Darum ging es bei einer Veranstaltung der LWK Niedersachsen im Projekt Netzwerk Fokus Tierwohl.
Vorteile der kuhgebundenen Kälberaufzucht
„Viele Verbraucher wissen nicht, dass Kuh und Kalb getrennt werden und wenn sie es wissen, lehnen sie es meist ab“, erklärte Kerstin Barth vom Thünen-Institut für ökologischen Landbau in Schleswig-Holstein. Das sei einer der Gründe, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Darüber hinaus seien viele Vorteile der kuhgebundenen Kälberaufzucht wissenschaftlich belegt:
- Sie fördert Entwicklung und soziale Kompetenz der Kälber,
- die Kälber sind weniger stressempfindlich,
- haben höhere Zunahmen,
- bewegen sich mehr und spielen mehr
- und es tritt weniger gegenseitiges Besaugen auf.
Allerdings bestätigt die Literatur laut Barth auch Nachteile, nämlich einen höheren Trennungsstress und eine geringere gelieferte Milchmenge. In den ersten 100 Laktationstagen sei mit 1.150 bis 1.700 kg Milch weniger zu rechnen.
Zehn Tipps rund um die Geburt von Kälbern
Es gibt viele Systeme
Kuhgebundene Aufzucht beschreibt Barth zufolge Haltungssysteme, die physischen Kontakt (lecken, beriechen, saugen, spielen) zwischen Kuh und Kalb ermöglichen. Allerdings gebe es nicht das System, sondern so viele Systeme wie Betriebe. „Die meisten Betriebe haben nach und nach ihr eigenes System entwickelt. Es gibt kein Standardsystem“, betonte sie. Unterschiede gebe es im Hinblick auf folgende Punkte:
- Kälber können mit ihrer Mutter aufwachsen (muttergebunden), mit einer fremden Kuh (ammengebunden) oder in einer Kombination aus beidem,
- die Säuge-/Kontaktzeit dauere meist drei bis vier Monate, schwanke aber von 14 Tagen bis sechs Monate,
- Kontakt sei ganztags, nur tagsüber, nur nachts oder nur kurzzeitig zum Beispiel vor oder nach dem Melken möglich,
- das Absetzen und die Trennung von Kuh und Kalb können abrupt, gestuft (in zwei Schritten) oder graduell verlaufen.
Absetzen ist die größte Herausforderung
Das Absetzen und das Trennen von Kuh und Kalb ist laut Barth die größte Herausforderung der kuhgebundenen Aufzucht. Unabhängig vom Verfahren gebe es einen „Absatzknick“ in der Zunahme. Um den Kälbern nicht zeitgleich Milch und Sozialkontakt zu entziehen, könnten „nose flaps“ dafür sorgen, dass sie nicht mehr saugen können, aber weiterhin Kontakt zur Kuh haben. Das funktioniere aber meist nur kurzzeitig und es könnten Druckstellen entstehen. Eine Alternative sei, Kuh und Kalb noch länger Kontakt ohne Saugen zu ermöglichen, zum Beispiel über einen Zaun hinweg.
Klein anfangen
„Fangen Sie klein an und schließen Sie den Rückweg nicht aus“, rät Barth Landwirten, die sich an dem System probieren wollen. Es seien nicht nur stallbautechnisch entsprechende Lösungen nötig. Man müsse auch die Anforderungen der Abnehmer von Milch, Fleisch, Kälbern oder Zuchttieren bedenken und Arbeitsroutinen anpassen. „Zum Beispiel hat man keine leeren Eimer mehr, um zu sehen, ob die Kälber gesoffen haben. Man muss einen anderen Blick entwickeln“, betonte die Expertin.
Bericht aus der Praxis
Manfred Gabler hat 2013 erste Versuche mit kuhgebundener Aufzucht begonnen und zieht heute 95 Prozent der Kälber auf seinem Biolandbetrieb im Allgäu so auf. „Wir haben weniger Arbeit und die Lebensqualität hat sich für Kuh, Kalb und Bauer verbessert“, fasste er seine Erfahrungen zusammen. Voraussetzung sei aber die Beobachtung der Kälber und ein gutes Trennungskonzept.
Das beginnt bei ihm direkt nach der Geburt, denn jedes Kalb bekommt Biestmilch mit der Flasche. So sei die Versorgung sichergestellt und die Trennungsphase verlaufe stressfreier. Denn die Kälber, die Gabler mit vier Wochen zur Mast verkauft, stellt er vorher auf Eimertränke um. Das gehe deutlich leichter, wenn sie nach der Geburt einmal aus der Flasche getrunken haben.
Die ersten drei Tage verbringen Kuh und Kalb in der Abkalbebox. Die Kuh geht nur zweimal täglich zum Melken. Ab dem vierten Tag verbringt sie nur noch zwölf Stunden beim Kalb und hält sich sonst in der Herde auf. „So lernen Kuh und Kalb, mit Trennungszeiten umzugehen“, erklärte Gabler. Ab der zweiten Lebenswoche treffen sich Kuh und Kalb nur noch zweimal täglich vor dem Melken rund 30 Minuten im Laufhof. In der achten bis zwölften Woche werden Milchmenge und sozialer Kontakt auf einmal täglich reduziert. In der 13. Woche bekommen die Kälber keine Milch mehr, aber Sozialkontakt ist über den Zaun der Trennungsbox im Liegebereich des Stalles noch mindestens eine Woche lang möglich.