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Mensch-Tier-Beziehung im Stall: Guter Umgang zahlt sich aus
Die Beziehung zwischen Mensch und Tier spielt im Rinderstall eine entscheidende Rolle. Denn wie positiv oder negativ Tiere den Kontakt mit Menschen wahrnehmen, beeinflusst die tägliche Arbeit und sogar ihre Leistung.
Einfluss des Menschen auf die Nutztiere
Der Landwirt oder die Landwirtin hat laut Waiblinger einen starken Einfluss auf die Tiere. Dieser sei bei Milchvieh besonders deutlich, da es mindestens zweimal am Tag beim Melken zum Kontakt kommt. Wie positiv oder negativ die Tiere diesen Kontakt und damit den Menschen wahrnehmen, wird gerne mit dem Ausweichdistanz-Test untersucht. Dabei nähert sich eine Testperson dem Tier oder der Herde auf eine standardisierte Art, wobei die Distanz zwischen Mensch und Tier gemessen wird. Je kürzer die Distanz ist, bei der das Tier sich abwendet, desto besser ist die Wahrnehmung des Menschen durch das Tier.
In einer Studie von Waiblinger aus dem Jahr 2019 lag die tolerierte Distanz zum Menschen bei einem Großteil der Tiere bei einem, teils bis zu zwei Metern – ein großer Abstand, wenn man bedenkt, dass die Tiere mindestens zweimal am Tag zum Melken kommen. Das bedeutet, dass zumindest einige Kühe Furcht vor dem Menschen haben, wenn er näherkommt. Diese Furcht kann zu Stress führen.
Mensch-Tier-Beziehung: Der Mensch ist für die Qualität verantwortlich
Wie in jeder Beziehung sind immer zwei Seiten beteiligt. Bei der Mensch-Tier-Beziehung bestimmt vor allem der Mensch über die Qualität der Beziehung, da er im Allgemeinen über Häufigkeit und Art des Kontaktes bestimmt.
Der englische Psychologe Martin Seabrook zeigte schon 1972, dass die Persönlichkeit der Betreuungsperson sich auf die Milchleistung von Kühen auswirken kann. Er setzte in einem Versuch die Milchleistung in Zusammenhang zur Persönlichkeit der betreuenden, melkenden Person und kam zu einem erstaunlichen Ergebnis: Je nach Eigenschaften der Personen (selbstbewusst/extrovertiert vs. weniger selbstbewusst/introvertiert), unterschied sich die Milchleistung um bis zu 12 Prozent. Selbstbewusste, introvertierte Betreuer erreichten die höchsten Milchmengen.
Positive oder negative Erfahrungen prägen
Wenn das Tier viele positive Erfahrungen mit Menschen machen konnte, nimmt es ihn in der Regel als Quelle angenehmer Erfahrungen wahr. Das Gegenteil ist bei fehlenden oder zu wenig positiven oder negativen Erfahrungen der Fall sowie bei neutralem Kontakt: Das Tier verknüpft den Menschen mit negativen Erwartungen und nimmt ihn als furchterregend wahr. Die Wahrnehmung kann sich im Laufe der Zeit auch wieder ändern, wenn genug positive Erfahrungen vereinzelte Negative wieder aufwiegen.
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Körperliche Stressreaktion auf Furcht
Waiblinger erklärte, dass es zu einer, auch körperlich sichtbaren, Stressantwort in Folge einer negativen Wahrnehmung des Menschen kommt, wenn die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (HPA-Achse) aktiviert wird:
- Der Hypothalamus aktiviert das Noradrenalinsystem des Gehirns, das die Tiere oder auch den Menschen in Alarmbereitschaft versetzt.
- Gleichzeitig wird vom Hypothalamus ausgehend der Sympathikus aktiviert. Er regt das Nebennierenmark an, das Noradrenalin und Adrenalin in den Körper entlässt. Es kommt zur „Fight-or-Flight“-Reaktion (kämpfe oder fliehe) und dem Körper steht blitzschnell Energie zur Verfügung.
- Parallel wird die Hypophyse angeregt, das wichtigste Hormonkontrollzentrum des Körpers. Sie setzt ein Hormon frei, das ebenfalls die Nebennierenrinde anregt, wo nun das Stresshormon Cortisol gebildet und freigesetzt wird. Es sorgt dafür, dass der Körper auch nach dem ersten Peak genug Energie hat, um sich dem „Kampf“ zu stellen.
Eine solche körperliche Reaktion auf die Furcht vor Menschen konnte Waiblinger gemeinsam mit Kollegen 2004 mit Herzfrequenzmessgeräten an Brustgurten nachweisen. Die bloße Anwesenheit eines Menschen ließ die Herzfrequenz der Tiere mit negativen Erfahrungen steigen.
Stress kann sich kurzfristig im Verhalten zeigen durch verstärkte Ausweichreaktionen und erhöhte Aggressivität. Aber auch längerfristig kann sich der Einfluss zeigen und Futteraufnahme oder Leistung vermindern.
Anti-Stress-Wirkung
Kommt es hingegen zu vielen positiven Interaktionen und besteht Vertrauen in den Menschen, wird keine Stressantwort ausgelöst. Im Gegenteil: Es kann das Hormon Oxytocin ausgeschüttet werden, das eine „Anti-Stress-Wirkung“ hat. Bei positiver Wahrnehmung des Menschen und einer guten Mensch-Tier-Beziehung ist es möglich, den Stress in an sich negativen, furchtauslösenden Situationen wie tierärztliche Behandlungen oder Trennung von Artgenossen zu verringern. Der Mensch wird als soziale Unterstützung wahrgenommen.
Das Ziel sind Tiere, die bei Kontakt mit dem Menschen ruhig sind und keine Stressreaktionen zeigen. Gleichzeitig sollen sie Respekt vor dem Menschen haben und ihn als „Chef“ akzeptieren. So kann laut Waiblinger auch auf Großbetrieben eine ruhige Herde entstehen und das Zusammenarbeiten lässt sich für Mensch und Tier so angenehm wie möglich gestalten.