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Der Milchviehstall der Zukunft: Wie kann er aussehen?
Wie sehen zukunftsorientierte Milchviehställe aus? Gelingt es, Tierwohl, Umweltschutz und Wirtschaftlichkeit zu vereinen? Der Blick in die Zukunft wirft noch einige Fragen auf, aber Konzepte und Visionen gibt es schon.
Tierwohl, Nachhaltigkeit, Emissionsminderung, Arbeitskomfort, Wirtschaftlichkeit – die Anforderungen an eine zukunftsfähige Milchviehhaltung sind vielfältig und stehen nicht immer miteinander im Einklang. Wie kann ein Stall all diesen Anforderungen und Zielkonflikten gerecht werden? Darum ging es kürzlich bei den Bau- und Energielehrschautagen der LWK Schleswig-Holstein und des Netzwerks Fokus Tierwohl in Futterkamp.
Offenheit für neue Ideen ist wichtig
Eine Voraussetzung für eine zukunftsorientierte Rinderhaltung ist die Offenheit für neue Ideen. Das betonte Andreas Pelzer, Leiter des Sachbereichs Rinderhaltung am Versuchs- und Bildungszentrum Landwirtschaft Haus Düsse der LWK Nordrhein-Westfalen. Die Landwirtschaft müsse sich auf neue Konzepte einlassen wie „urban“ und „vertical farming“ oder „floating farms“. Oft höre man das Argument „Das geht nicht“ oder „brauchen wir nicht“, aber es gehe viel mehr um das „wollen“. „Wir müssen offen sein, zuhören und unser Können und Wissen mit neuen Ideen kombinieren“, rief Pelzer die Landwirtinnen und Landwirte auf.
Alte Konzepte mit neuer Technik
Auch einst überholte Konzepte könnten kombiniert mit neuer Technik wieder zukunftsfähig sein – zum Beispiel Hochsilos wegen der im Vergleich zu Fahrsilos bedeutend geringeren Flächenversiegelung. Vielversprechende Ideen und Ansätze, die noch nicht (ausreichend) funktionieren, müsse man weiterentwickeln – wie die Kuhtoilette oder Systeme für Pärchenhaltung von Kälbern oder kuhgebundene Aufzucht.
Keine Trennung von Kuh und Kalb: Kuhgebundene Kälberaufzucht
Digitalisierung bleibt wichtiges Thema
Fest steht für Pelzer, dass Nachhaltigkeit das Maß für alle weiteren Entwicklungen ist. Darüber hinaus werde die Digitalisierung die Milchviehhalter weiterhin begleiten. Mit Robotern gewinne man einerseits Freiheiten, sei andererseits aber auch „24/7“ an sie gebunden. Hier sei entscheidend, die Technik zu kennen und entsprechend vorzuarbeiten, um möglichst ungebunden zu sein (Reinigungsmittel dann nachfüllen, wenn man kann, und nicht, wenn man muss, weil es leer ist).
Außerdem empfiehlt Pelzer, die Roboter nie voll auszufahren, sondern Reserven einzuplanen, um ihr Potenzial voll auszuschöpfen. „Der Reinigungsroboter soll keine verdreckten Laufflächen reinigen, wenn die Emissionen entstanden sind und die Kühe im Mist stehen. Er soll sie sauber halten, sodass die Kuh gar nicht erst reintreten kann, weil der Roboter vorher da war.“ Dazu sei auch eine Vernetzung verschiedener Systeme nötig. So könne der Reinigungsroboter schon losfahren, wenn die Kuh aufsteht und voraussichtlich gleich Kot absetzt.
Verschiedene Visionen vom Zukunftsstall
Visionen, wie der „Stall der Zukunft“ aussehen könnte, hat eine Arbeitsgruppe im Projekt „Gesamtbetriebliches Haltungskonzept Rind“ entwickelt. Pelzer war Teil des rund 20-köpfigen Teams, das in drei Fachgruppen mit den Schwerpunkten Ökonomie, Ökologie und Tierwohl je einen Stall für 240 Kühe entworfen hat. Er stellte die drei dabei entstandenen Konzepte vor:
- Der „Tierwohlstall“ besteht aus vier Einheiten für je 60 Tiere – stabile Gruppen aus Laktierenden und Trockenstehern. Die runden Einheiten des Kompostierungsstall bestehen jeweils aus einem runden Liegebereich, umgeben von einem planbefestigtem Laufgang und einem außenliegendem Futtertisch mit intelligenten Fressgittern, die Kühen nur an den Plätzen Zugang gewähren, an denen die für sie vorgesehene Ration liegt. Die Kühe haben Weidegang. Melken und Füttern sind automatisiert.
- Beim „Umweltstall“ achtete die zuständige Gruppe vor allem darauf, versiegelte Flächen und Emissionen zu reduzieren. Das Ergebnis ist ein Liegeboxenlaufstall mit fünf Liegeboxenreihen und einer kombinierten Fress-Liegeboxenreihe, der alle wesentlichen Funktions- und Arbeitsbereiche unter einem Dach zusammenfasst. Alle 240 Tiere stehen in einer Gruppe. Grundfutter und Milch werden in Hochsilos gelagert. Kot und Harn werden durch Kuhtoiletten und sensorgesteuerte Roboter sofort getrennt aufgenommen und verarbeitet. Auch Melken und Füttern sind automatisiert.
- Der „Ökonomiestall“ ist ein Doppel-Zweireiher-Stall mit Hochboxen und zwei außenliegenden Futtertischen für zwei 120er-Gruppen. Er setzt ebenfalls auf Automatisierung mit dem Ziel, Arbeitszeit und Arbeitsplatzqualität positiv zu beeinflussen. Anstelle von Robotern kommen aber ein Futtermischwagen und ein Faltschieber zum Einsatz. Tierwohl und -gesundheit spielen auch hier eine wichtige Rolle als Voraussetzung für eine hohe Leistung.
Am Ende steht ein Kompromiss
Aus den drei Konzepten entwickelte die Arbeitsgruppe am Ende einen „Kompromissstall“, der die wichtigsten Elemente aller drei Ställe vereint:
- Liegeboxen,
- planbefestigte Laufgänge,
- Fressstände mit intelligenten Fressgittern für zwei feste 120er-Gruppen mit laktierenden und trockenstehenden Kühen,
- ganzjähriger Außenklimazugang durch offene Bauart und integrierte Laufhöfe,
- Automatisierung von Melken, Füttern und Kot sammeln
- Laufflächenreinigung mit gülleaufnehmenden Systemen und sensorgesteuerten Kotkollektoren,
- emissionsmindernde Bodenbeläge,
- Futterlagerung in Hochsilos
- und Gründächer in Kombination mit Photovoltaik.