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Pferdefütterung: Wie viel Heu braucht ein Pferd?
Die richtige Menge Heu ist ein Dauerstreitthema zwischen Stallbetreibern und Pferdebesitzern: Wie viel ist genug? Wo beginnt „zu viel“? Wir haben Futterexpertin Conny Röhm vom Tierwissenschaftlichen Institut gefragt.
Frau Röhm, was muss ein Pferd fressen, um alles zu bekommen, was es braucht?
In erster Linie braucht ein Pferd Raufutter. Darunter fällt Heu, Heulage, Stroh und, je nach Rasse, Knabberhölzer und Blätter. Warmblüter haben oft kein Problem mit Heu ad libitum. Bei Spezialrassen sieht das anders aus. Bei kleinen Shetlandponys oder Norwegern ist der freie Zugang manchmal nicht so schlau. Wenn wir die füttern wie Warmblüter, werden sie fett. Das gilt es zu vermeiden.
Fragt man nach der Heumenge, die ein Pferd fressen sollte, stößt man schnell auf die Grundregel 1,5 bis 2 kg Heu pro 100 kg Pferd. Gilt dieser Grundsatz noch?
Die Faustformel lautete ursprünglich: 1,5 bis 2 kg Rohfaser pro 100 kg Pferd. Daraus entwickelte sich im Laufe der Zeit Heu statt Rohfaser. Und wir sprechen hier von einer Untergrenze – weniger dürfen wir nicht machen. Zudem müssen wir davon ausgehen, dass solche Faustformeln sich auf eine Haltung mit fressbarer Einstreu beziehen. Mit einer Heu-Stroh-Mischung kann das halbwegs funktionieren. Ohne fressbare Einstreu ist es im Prinzip gesundheitsbedenklich, denn das Pferd wird dabei großen Hunger haben.
Um herauszufinden, wie viel Raufutter das Pferd braucht, sollte ich herausfinden, wie viel Raufaser es fressen würde, wenn ich es ließe. Dafür ermittle ich die Appetitsgrenze: Ich separiere das Pferd und lasse es fressen. Dieser Wert ist ein erster Anhaltspunkt. Bei einem Offenstall mit 30 Pferden separiere ich nach Gruppen: Zehn Warmblüter, zehn Sonderrassen, zehn Vollblüter. Ich lasse sie zwölf oder 24 Stunden fressen und nehme die Schnittmenge der einzelnen Gruppen.
Bei der Faustformel sprechen wir über den reinen Erhaltungsbedarf. Da hat das Pferd sich noch nicht bewegt. In der Regel können wir davon ausgehen, dass bei Anwendung der Faustformel der Energiebesatz des Heus nicht immer ausreicht. Um das aufzufangen, muss Kraftfutter gefüttert werden. Dabei wäre es sinnvoller, einfach mehr Heu zu geben. Das passt dann aber für die Pferde nicht, die sogar bei Einhaltung der Faustformel dick werden, weil das Heu eine zu hohe Energiedichte hat. Gebe ich dann als Stallbesitzer weniger Heu, kommen wir in die Problematik der zu langen Fresspausen, die Verhaltensstörungen und Magenerkrankungen nach sich ziehen. Das Pferd nimmt nicht weiter zu, wird aber magenkrank. Erneut haben wir einen unzufriedenen Einsteller.
Könnte ich als Stallbesitzer dann nicht einfach weniger Heu und mehr Stroh füttern?
Das ist ab einem gewissen Punkt ebenfalls nicht ideal. Stroh darf maximal ein Drittel der Gesamtration ausmachen, sonst kommt es zur Verstopfungskolik. Nimmt man auf Stroh stehenden Pferden das Heu weg, decken sie ihren Rohfaserbedarf über das Stroh. Man hat lange angenommen, dass Sättigung von den Kauschlägen abhängt. Das ist inzwischen überholt. Ein Pferd fühlt sich satt, wenn eine bestimmte Dickdarmfüllung gegeben ist. Es frisst bis dieser „Füllstand“ erreicht ist – zu Not auch Boxenwände, Holzbegrenzungen, Kot von Artgenossen, Paddocksand oder Zäune.
Biogasanlage arbeitet nur mit Pferdemist
Manchmal argumentieren Stallbesitzer, dass nicht so viel Heu gefüttert wird, weil die Pferde es in der Box nur unter das Stroh treten – ergo nicht auffressen. Wie kann man dem begegnen?
Ich muss das Heu vom Boden wegbringen. Die einfachste Lösung ist eine Heuraufe in der Box. Eine schöne Möglichkeit ist auch das Füttern auf der Stallgasse. Da macht man die vordere Boxenwand auf und füttert über ein Fresspanel. Der Stallbesitzer hat kaum Futterverluste und sieht schnell, ob einer nicht frisst. Oder man arbeitet mit Heukisten. Heunetze bedeuten immensen Zeitaufwand und sind aus betriebswirtschaftlicher Sicht nicht zu empfehlen.
Landwirtschaftliche Labore und Tierernährungsinstitute bieten Heuanalysen an. Welche Vorteile sehen Sie darin?
Überschüsse oder Defizite aus der Fütterung ziehen Probleme nach sich, die erst nach Wochen oder Monaten sichtbar werden. Dann ist das Kind schon in den Brunnen gefallen. Eine Analyse fängt so etwas im Vorfeld ab.
Für Stallbesitzer sind Heuanalysen Gold wert, allein betriebswirtschaftlich gesehen. Es geht nicht darum, Schadkeime zu suchen, sondern um Planungssicherheit. Wenn ich weiß, wie viel Energie und Eiweiß in meinem Heu ist, muss ich nicht warten bis im Winter der Bestand schlecht aussieht und die Leute meckern. Die Analysen verraten auf einen Blick, wie viel Heu die Pferde fressen müssen und wie viel Kraftfutter dazukommen muss, um Muskelmasse und Leistung zu erhalten, ohne dass der Bestand fett wird.
Für den Einsteller sind die Analysen ebenfalls hoch interessant, weil er auf Basis dieser Daten ein passendes Mineralfutter kaufen kann. Als Stallbesitzer kann ich mit diesen Daten eine Mischration für meinen gesamten Bestand ansetzen. Außerdem sehe ich damit die Defizite in meiner Kalkulation. Wenn meinem Heu Eiweiß, Selen oder Kupfer fehlt, weiß ich schnell, welches Bestandsfutter, also Kraftfutter oder sogar Mineralfutter, ich abseits des Heus benötige.
Ich sehe heutzutage so viele Pferde mit Muskelerkrankungen, Selenmängeln oder ähnlichem. Wenn ich mein Raufutter kenne, kann ich rechtzeitig gegensteuern und vermeide Über- und Unterversorgung. Das ist keine Raketenwissenschaft, sondern schnöde Rationsbilanzierung.
Landwirte kennen ihre Flächen in der Regel gut. Sind Heuanalysen denn dann nötig?
Natürlich haben Landwirte viel Erfahrung. Sie wissen auch plus minus wie sich das Heu entwickelt im Laufe der Blüte und Vegetationsperiode. Aber es ist extrem niederschlagsabhängig. Mit der Dürre und den nassen Sommern der vergangenen Jahre kann es im Folgejahr ganz anders aussehen. Die Gräser- und Pflanzenverteilung hat sich verändert, aber das sieht man nicht auf den ersten Blick. Nicht jeder Landwirt macht eine Pflanzeninventur und merkt sich zu 100 Prozent, was und wie viel auf welcher Fläche gestanden hat.
Mit welchen Kosten kann ich als Landwirt rechnen?
Wenn man Labordiagnostik hört, denkt man immer, das ist total teuer. Dem ist aber nicht so. Ich würde einmal eine große Analytik ziehen für die Mengen- und Spurenelemente und, bei gleichbleibendem Flächenmanagement, die Jahre danach nur noch Energie und Eiweiß abfragen. Das kostet um die 35 Euro. Habe ich eine Lagerfläche für das Heu des ganzen Jahres, ziehe ich Durchschnittsproben von allen Chargen. Am Ende geht eh alles ins Pferd. Kaufe ich Heu zu, profitiere ich oft davon, dass Grünlandproduzenten eine Analytik haben.
Eine Rationsberechnung gilt für das jeweilige Pferd, doch ist das in der Gruppenhaltung überhaupt zu realisieren?
Ja. Auch in Gruppen mit unterschiedlichen Bedürfnissen sollten gewisse Grenzen weder unter- noch überschritten werden. Beim Zuckerwert zum Beispiel liegt der realistische Mittelwert bei einem sehr heterogenen Bestand bei etwa 11 Prozent. Unter 10 Prozent haben die Leistungsträger ein Problem, darüber werden die Ponys dick. Das wäre für eine Mischkalkulation eigentlich ein schöner Richtwert. Sind die Ausreißer aber zu extrem – also ein Senior mit massivem Bedarf und ein Pony mit starkem Übergewicht – muss ich bei einem der beiden über einen Stallwechsel nachdenken oder die Gruppe trennen.
Weist mein Heu zu hohe Zuckerwerte auf, steuere ich mit Mischrationen gegen. Bei sehr hohen Werten, sollte ich über einen Futtertausch mit dem Milchviehbetrieb nebenan nachdenken. Bei >140 g Zucker wird auch das Warmblut dick und bekommt irgendwann Hufrehe.
Pferdemist als Dünger: gesunder Kompost für die Umwelt
Wie sieht der „perfekte“ Pensionsstall bezogen auf das Fütterungsmanagement für Sie aus? Was müssen Stallbetreiber leisten?
Was der Stallbesitzer leistet, liegt am Betriebskonzept. Er macht es sich leicht, wenn er die Pferde in Bedürfnisgruppen einteilt nach Fütterungs- und Bewegungsbedürfnissen: Alte, Plüschige, Leistungsträger. Besonders in heterogenen Gruppen haben wir oft das Problem, dass manche Pferde zu dick, andere zu dünn werden. Wenn von 30 Einstellern zehn meckern, weil das Pferd zu dick ist und zehn andere, weil es zu dünn ist, habe ich 20 unzufriedene Einsteller und eine hohe Pferdefluktuation. Da kann es sinnvoller sein, die Pferde in Bedürfnisgruppen zu halten oder nur Pferde zu nehmen, die zum Betrieb passen. Ich finde es völlig verständlich, wenn ein Stallbetreiber sagt: „Wir nehmen nur Warmblüter“ oder „nur leichtfutterige Spezialrassen“. Das macht es für alle leichter.
Der Pensionsstall der Zukunft muss eine immer größere Rassenvielfalt bewältigen. Da muss ich schauen, wie ich es mir so leicht wie möglich mache. Das macht auch den Einsteller happy, weil er ein gesundes Pferd hat, das weder fett noch dünn wird, in Ruhe gelassen wird, wenn es das braucht und die richtige Menge Futter hat.
Schwierig wird es, wenn der eine gegen Übergewicht anreiten muss und die Pferde trotzdem fett sind. Oder ich Leistung will und die ich nicht bekomme, weil das Pferd zu wenig Futter hat oder nicht zur Ruhe kommt. Oder ich meinen Senior zerfallen sehe, der erschöpft in der Ecke steht. Ein gut durchdachtes und optimiertes Betriebskonzept und dafür passende Pensionspferde sind eine gute Voraussetzung dafür, dass es funktioniert.
Der Einsteller sollte bei Sonderwünschen bedenken, dass diese nicht in der Kalkulation enthalten sind, ergo bezahlt werden müssen, sofern sie nicht im Vertrag stehen. Darin sollte so viel geregelt werden wie möglich. Dann gibt es auch keinen Spielraum für Auseinandersetzungen. Am Ende ist es eine Sache der Kommunikation – gerade bei temporären Sondersituationen.