Damit die Ringelschwänze intakt bleiben, müssen viele verschiedene Faktoren stimmen. Kommt es zu Beißen oder Nekrosen, kann die Suche nach den Ursachen oft langwierig sein.

Schweine lügen nicht! So deuten Sie Tiersignale richtig

Welchen Einfluss hat die Tiergesundheit auf den Kupierverzicht? Und welche Hinweise kann das Tierverhalten auf den Gesundheitszustand geben? Dr. Anja Eisenack und Mirjam Lechner vom Netzwerk Kupierverzicht klären auf.

Der gesetzliche Druck in Deutschland und auch EU-weit, vermehrt Schweine mit intakten Ringelschwänzen zu halten, wird zukünftig steigen. Die Umsetzung in der Praxis ist jedoch oft schwierig, scheint manchmal sogar fast unmöglich. Das Wissensnetzwerk Kupierverzicht bietet eine Vielzahl von Informationen und Hilfestellungen an, um den Kupierverzicht erfolgreich umzusetzen. Im Rahmen einer Online-Veranstaltung haben Dr. Anja Eisenack und Mirjam Lechner ihr Wissen zum Thema Tiergesundheit und Tierbeobachtung in Bezug auf den Kupierverzicht geteilt.

Ringelschwanz: So gegen Schwanzbeißen vorgehen

„Um Tiere mit intakten Schwänzen zu halten, müssen viele verschiedene Faktoren stimmen“, so Anja Eisenack. „Das Schwanzbeißen und die Nekrosen sind nur die Spitze, der sichtbare Teil des Eisbergs. Darunter versammeln sich eine Vielzahl von Faktoren, die alle gezielt überprüft und eventuell angepasst werden müssen“.

Fühlen sich Schweine unwohl – sei es durch Stress oder gesundheitliche Probleme – mündet das nicht selten in Schwanzbeißen, weshalb ein guter Gesundheitszustand unerlässlich ist. Die Tiersignale können dabei wertvolle Hinweise liefern, wo genau die Probleme liegen. Vorausgesetzt sie werden erkannt. „Wir können nur das sehen, wonach wir auch suchen und erkennen nur das, was wir wissen“, sagt Anja Eisenack. „Also muss ich erst mal wissen, worauf ich im Stall überhaupt achten muss.“

Grafik-Eisberg

Tiersignale von Schweinen richtig einordnen

Die Tiersignale lassen sich in drei große Gruppen einteilen.

  • Zu den sichtbaren Veränderungen gehören die körperlichen Veränderungen am Einzeltier. Diese können, müssen aber nicht, auch Krankheitssymptome sein.
  • Zu den Verhaltensänderungen der Tiere, gehört jegliche Abweichung vom Normalverhalten. Dabei könne jedoch eine gewisse Betriebsblindheit vorkommen, so Anja Eisenack. „Wenn sich meine Schweine immer so verhalten, dann merke ich vielleicht gar nicht, dass es sich dabei schon um eine Abweichung vom Normalverhalten handelt.“
  • Die dritte Gruppe bilden die Anzeichen, die nicht direkt einem Tier zuzuordnen sind. Dazu gehört zum Beispiel ein unnormaler Geruch im Stall, verursacht durch Durchfallerkrankungen oder sogar durch entzündete, offene Wunden an den Schwanzspitzen. Ebenso zu den Tiersignalen, auf die regelmäßig geachtet werden sollte, gehören Geräusche und Lautäußerungen.

Kotbeschaffenheit der Schweine als Signal nutzen

Wichtig ist auch, vor allem die Kotbeschaffenheit im Blick zu behalten. „Durchfall ist für jeden von uns ein Warnsignal, aber ebenso wichtig ist es, bei zu trockenem Kot genau hinzusehen. Gerade bei Sauen“, sagt Anja Eisenack. „Denn zu trockener Kot ist immer ein Warnsignal.“ Mehrere Faktoren können ursächlich sein und sollten sofort überprüft werden. „In dem Moment, in dem Sie zu trockenen Kot sehen, sollten Sie die Wasserversorgung und die Stalltemperatur kontrollieren, aber auch auf Infektionskrankheiten untersuchen.“

Tierkontrolle durch den Menschen

Inzwischen bieten technische Methoden eine Vielzahl zusätzlicher Informationen. „Die Technik kann die Tierkontrolle durch den Menschen niemals ersetzen“, so Anja Eisenack. „Sie kann aber eine hilfreiche Unterstützung sein.“ So können zum Beispiel die Ergebnisse von Schadgasmessungen, der Wasser- und Futterverbrauch oder regelmäßige Blutuntersuchungen wertvolle Hinweise liefern. Ein wichtiger Punkt ist das Messen der relativen Luftfeuchte, denn sinkt diese unter 60 %, trocknet die Luft aus. In der Folge steigt der Staubgehalt, der die Schleimhäute der Tiere reizt, wodurch diese infektanfälliger werden. „Wir müssen nicht warten, bis wir bei den Schweinen schon die ersten Tiersignale sehen. Wie viele andere Probleme auch, kann ich hier bereist im Vorfeld, durch Technik und Messungen vorbeugen“, sagt Anja Eisenack.

Mykotoxingehalte haben großen Einfluss

Manchmal jedoch gibt es Situationen, in denen die Technik und die Blutproben keine Auffälligkeiten zeigen, die Tiersignale aber deutlich auf einen Missstand hinweisen. „Schweine lügen nicht“, sagt Anja Eisenack. „Und wenn die Tiere Auffälligkeiten zeigen, dann müssen wir gucken, woran das liegt.“ Gerade in Bezug auf die Mykotoxin-Belastung ist dieses Phänomen bekannt. „Wenn die Schweine sagen, sie haben ein Mykotoxin-Problem, dann stimmt das auch, egal was die Proben anzeigen.“

Oft treten Probleme auch schon weit unterhalb der sogenannten Grenzwertbereiche auf. „Wenn Sie Langschwänze wollen, müssen Sie sich von den Grenzwerten verabschieden“, sagt Anja Eisenack. Denn bereits bei geringen Mykotoxinnachweisen erhöht sich das Risiko, dass Salmonellen und andere Infektionserreger in die Zellen eindringen und Krankheiten verursachen, die ohne eine Mykotoxinbelastung kein Problem wären. Problematisch sind dann nicht die Mykotoxine an sich, jedoch wird in Kombination mit einem Infektionserreger die Immunabwehr soweit runtergeschraubt, dass auch eine geringe Belastung mit Infektionskeimen zu Problemen führen kann. Mykotoxinbelastungen im Futter sollten daher so gering wie möglich sein.

SINS: Das systemische Entzündungs- und Nekrosesyndrom

In seiner Bedeutung für Langschwänze lange Zeit unterschätzt war das systemische Entzündungs- und Nekrosesyndrom (SINS). „Ich habe mehrere, zum Teil sehr große Betriebe in Finnland besichtigt und nur einen einzigen Wurf mit SINS-Symptomen gefunden“, sagt Dr. Mirjam Lechner. „So ein hohes Gesundheitsniveau habe ich in keinem anderen Land gesehen. Das ist die Basis und die beginnt bereits bei den Sauen.“ Die SINS-auslösenden Toxine werden von der betroffenen Sau durch Blutversorung im Uterus sowie über die Milch an die Ferkel gegeben und lösen auch hier sichtbare Entzündungen aus.Diese sind gekennzeichnet durch Rötungen, Schwellungen, Erwärmungen, Schmerz oder eben auch Nekrosen am Schwanz oder an den Ohren.

Schweinekrankheiten: Kein Appetit und wenig Wachstum

„Die Hauptursache für SINS liegt im Verdauungstrakt“, so Mirjam Lechner. „Eine Störung des Mikrobioms und eine durchlässige Darmwand sind mit dem Übergang von Endotoxinen ins Blut der Auslöser für eine Immunreaktion als systemische Entzündung. Die Folge sind große Veränderungen am Schwanz, an den Ohren und an den Klauen.“ SINS ist jedoch nicht nur ein körperlicher Prozess, sondern wirkt sich auch auf das Verhalten der betroffenen Tiere aus. „Die Schweine zeigen ein Krankheitsverhalten, haben keinen Appetit mehr und wachsen langsamer“, so Mirjam Lechner. „Auch Fieber kann eine Folge sein.“

Schweine mit intakten Schwänzen

„Neben dem hohen Gesundheitsniveau gibt es in Finnland eine Reihe weiterer Faktoren, die es den Betrieben dort schon lange ermöglichen, erfolgreich Schweine mit intakten Schwänzen zu halten“, so Mirjam Lechner. Neben der Genetik – dänische aber auch viel norwegische Genetik – wird in Finnland viel Wert auf ausreichend Platz sowie viele Tränken und Fressplätze gelegt. In Deutschland, so Mirjam Lechener, würden viele Ursachen für Schwanzbeißen nicht ausreichend beachtet. Das alleinige Ablenken der Tiere löse jedoch nicht die darunter liegenden Ursachen. „Eine gute Futterqualität und ein guter Gesundheitszustand der Tiere kommen noch weit vor dem Thema Beschäftigungsmaterial.“

Fit For Pigs-App

Unterstützung beim Erkennen und Deuten von Tiersignalen und Tierverhalten bietet die Fit-for-Pigs-App. Anhand von Fotos und Videos werden eine Vielzahl von Tiersignalen anschaulich dargestellt und erläutert. Die App unterscheidet dabei zwischen Saugferkel, Aufzucht, Mast sowie Sau und Eber. So werden zum Beispiel Spitzennekrosen beim Langschwanz fotografisch gezeigt und die Ursachen beschrieben. Auch Auffälligkeiten an anderen Körperstellen, wie Rüssel, Auge, Ohr oder Nabel werden dargestellt. Die Basis-Version ist kostenlos und richtet sich sowohl an Anfängern wie auch an Profis.

Projekt „Nationales Wissensnetzwerk Kupierverzicht“

Das Netzwerk unterstützt Schweinehalterinnen und Schweinehalter bei der Haltung unkupierter Tiere. Es werden umfangreiche digitale Inhalte und E-Learning Möglichkeiten bereitgestellt und regelmäßige Infoveranstaltungen und Seminare angeboten. Neben dem Wissenstransfer von Praxiserfahrungen und Projektergebnissen bietet das Netzwerk auch die Möglichkeit der Vernetzung unterschiedlicher Akteure.

Noch bis Dienstag, 30. Mai, können Sie diesen Fachartikel in ganzer Länge auf unserer Webseite lesen. Danach steht er Ihnen in der digitalen Ausgabe der LAND & FORST zur Verfügung. Diese können Sie kostenlos und unverbindlich testen.

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Inhalte der Ausgabe

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