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Schweinemarkt: Schlachter wollen für jeden Stall einen Liefervertrag
Der Umbruch verläuft im Stillen, aber er ist gewaltig: Die freie Vermarktung von Schlachtschweinen stirbt gerade leise aus. Schlachter und Handel legen den Mästern flächendeckend feste Lieferverträge auf den Tisch. Doch die Papiere haben es oftmals in sich.
Die erste große Druckwelle kam mit dem Schweinestau: Als im vergangenen Jahr wegen der Corona-Pandemie mehr als eine Million Schweine nicht rechtzeitig an die Haken kamen, nutzten einige Vermarkter die Not der Mäster. Sie köderten die verzweifelten Schweinehalter mit dem Versprechen, die überfüllten Buchten schnell zu räumen, wenn sie einen längerfristigen Liefervertrag unterzeichnen. Manch einer hat unterschrieben, ohne genau hinzusehen.
Der Schlachtstau wurde zu Jahresbeginn zwar abgearbeitet. Der Druck auf die Mäster, einen verbindlichen Liefervertrag für alle Schweine einzugehen, hält aber an. Das hat einen triftigen Grund: Die Schweinehaltung geht in Deutschland rasant zurück – und die Fleischindustrie kämpft um ihren Rohstoff. Feste Verträge sollen das leisten.
Die Fleischindustrie fürchtet um die Rohstoffversorgung
Ein Blick in die Statistik zeigt das Ausmaß der Misere: Die Zahl der Zuchtsauen lag im November 2020 um 5,4 Prozent unter der Vorjahreslinie. Sauenhalter steigen derzeit – aufgrund der unsicheren Perspektiven – reihenweise aus der Produktion aus. Im vierten Quartal 2020 lagen die Sauenschlachtungen um 20 Prozent über dem Vorjahr.
Das schlägt, zusammen mit den verminderten Ferkelimporten, voll auf die Verarbeitung von Schlachtschweinen durch. Im ersten Quartal 2021 unterschritten die Schweineschlachtungen die Zahlen aus dem vergleichbaren Vorjahreszeitraum um 4,2 Prozent.
ITW-Bonus wird als Hebel eingesetzt
In dieser Situation eines rückläufigen Rohstoffangebots versuchen die großen Schlachtunternehmen, die Auslastung ihrer Kapazitäten durch verbindliche Lieferbeziehungen zu den Mästern abzusichern. Alle großen Schlachter und auch der Einzelhandel gehen momentan auf breiter Front mit Lieferverträgen auf die Mäster zu.
Einen willkommenen Anlass bietet ihnen der Start der 3. Programmphase in der Initiative Tierwohl (ITW). Ab dem 1. Juli 2021 zahlen die Schlachter beziehungsweise Vermarkter den ITW-Bonus von 5,28 Euro pro Schwein direkt an den Landwirt. Das Fondsmodell wird für Mastschweine abgeschafft. Daher lässt sich – aus Sicht der Fleischverarbeiter und des Handels schlüssig – argumentieren, dass nur eine vertragliche Lieferbeziehung genug Verlässlichkeit in die Lieferkette bringt, um das Fleisch von ITW-Tieren über den Lebensmitteleinzelhandel (LEH) abzusetzen.
Für jeden Stall einen Vertrag - so lautet das Ziel
Eine Abfrage unter den fünf größten schweineschlachtenden Unternehmen in Deutschland zeigt: Die Schlachter wollen die Mäster am liebsten durch Jahresverträge an sich binden. Für jeden Stall (VVVO-Nummer) einen Exklusivvertrag, das ist ihr Ziel.
Da allein diese fünf Konzerne einen Marktanteil von mehr als zwei Drittel der Schweineschlachtungen in Deutschland auf sich vereinen, wird ihr Vorgehen über den Branchenstandard entscheiden – und auch die Preisfindung beeinflussen.
Vion: Kein ITW-Bonus ohne Liefervertrag
Bei Marktführer Tönnies werden nach eigenen Angaben schon jetzt rund zwei Drittel der geschlachteten Schweine im Rahmen eines Liefer- und Abnahmevertrages angeliefert. Die Vereinbarungen sind Jahresverträge mit 3-monatiger Kündigungsfrist zum Ende der Laufzeit. Sie verlängern sich automatisch. Wer ab Juli ITW-Schweine ohne Vertrag anliefert, läuft Gefahr, den Bonus nicht zu erhalten, wenn die Nachfrage nach Tierwohl-Fleisch durch die Vertragsproduktion gedeckt werden kann.
Noch strenger regelt Vion den ITW-Aufschlag: Bei der Nummer 2 am Markt muss der Mäster einen unbefristeten Liefervertrag unterschreiben, wenn er ab dem 1. Juli den ITW-Bonus erhalten will. Ohne Vertrag kein ITW-Bonus. Der "Partnervertrag" kann von beiden Seiten zum 30. Juni oder 31. Dezember eines Kalenderjahres mit einer Frist von sechs Monaten gekündigt werden.
Bei Westfleisch sind Verträge schon lange Standard
Bei der Westfleisch sind verbindliche Verträge aufgrund des Genossenschaftsmodells seit Jahren übliche Praxis. Der Konzern geht davon aus, die nachgefragten ITW-Mengen über die Vertragsbetriebe abdecken zu können. Hier ändert sich also eher wenig.
Danish Crown verweist darauf, dass Lieferverträge primär mit den Viehhändlern beziehungsweise Erzeugergemeinschaften geschlossen würden. Daher finde die Abrechnung des ITW-Bonus zwischen diesen Partnern statt. Ein direkter Vertrag zwischen Danish Crown und dem Mäster sei nicht Voraussetzung, um den ITW-Bonus zu erhalten.
Bei Müller-Fleisch, Birkenfeld, muss der Mäster mit der Einstallung die erwartete Ausstallungswoche und die Zahl der Tiere verbindlich anmelden. Änderungen während der Mastperiode sollen aber möglich sein. Müller-Fleisch will eine geschlossene Lieferkette für Schweinefleisch aufbauen und setzt daher auf Systemverträge. Darin werden nicht nur der ITW-Bonus, sondern auch andere Aufschläge wie zum Beispiel für Regionalität und Tiergesundheit, geregelt.
Kampagne zur "Stallbaubremse" startet
Staack: Tierhalter sollten Lieferverträge kritisch prüfen
Die Fachverbände beobachten die jüngste Entwicklung mit Argusaugen. Sowohl der Deutsche Bauernverband (DBV) als auch die Interessengemeinschaft der Schweinehalter (ISN) analysieren derzeit die verschiedenen Vertragsmodelle. Fast alle Unternehmen haben Vereinbarungen versendet, auch Lebensmittelhandelskonzerne mit eigener Fleischverarbeitung.
"Wir sehen die Einführung von Lieferverträgen nicht per se als Nachteil für die Schweinehalter an. In manchen Marktsegmenten – etwa bei höheren Haltungsformen ab der Stufe 3 – sind sie sogar zu empfehlen", sagt ISN-Geschäftsführer Dr. Torsten Staack. Ein Vertrag könne auch Sicherheit über die fristgerechte Vermarktung zu transparenten Konditionen bieten. "Doch auch wenn das unbestritten so ist, sollten die Tierhalter diese kritisch prüfen, fortlaufend vergleichen und schon gar nicht jeden Quatsch unterschreiben", so Staack weiter.
Manche Bedingungen sollten Erzeuger nicht akzeptieren
Lieferverträge können direkt mit Schlachtunternehmen, Vermarktern wie zum Beispiel Viehhändlern oder auch mit Lebensmittelhändlern sowie mehreren Vertragspartnern gleichzeitig (sogenannte Dreiecksverträge) geschlossen werden.
"Jeder Schweinehalter sollte genau wissen, was genau mit wem vereinbart wurde, und vor allem, zu welchen Spielregeln", ergänzt Staack. "Hier gibt es Bedingungen, die Erzeuger nicht akzeptieren sollten." Das betrifft zum Beispiel
- lange Laufzeiten und Kündigungsfristen,
- eine Lieferpflicht bei zugleich nur vage formulierten Abnahmezusagen oder auch
- kritische Bestimmungen in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB).
Selbst Regresspflichten sind bei manchen Formulierungen zu befürchten. "Genau deshalb haben wir die Verträge mit Unterstützung einer Fachkanzlei genau überprüft", erklärt Staack.
Die freie Vermarktung wird auf Restmengen reduziert
Teilweise sind die jetzt versendeten Vertragswerke 30 Seiten stark oder haben mehrere Anhänge. Den Papierberg zu prüfen, ist nicht nur lästig, sondern in einigen Fällen auch kompliziert. Darum arbeiten ISN und DBV an Empfehlungen und Checklisten, worauf Mäster achten müssen. Sie sollen bald vorliegen, denn die Zeit drängt.
Eines ist jedenfalls klar: Egal ob mit Vertrag oder ohne – Mäster müssen sich um die Vermarktung ihrer Schweine kümmern und zwar mehr denn je. Dazu ist aber nicht zwingend ein Liefervertrag mit längerfristiger Bindung notwendig. Vereinbarungen können durchaus in Teilen weiterhin deutlich lockerer und sogar mündlich getroffen werden. Das ist übrigens auch der Fall, wenn es darum geht, den ITW-Bonus zu bekommen.
Soll es doch ein Liefervertrag werden, muss er zum individuellen Haltungskonzept passen – auch für die Zukunft. Je mehr in Tierwohl investiert wird, desto mehr wird ein Betrieb sich absichern wollen. Die betriebliche Weiterentwicklung darf dadurch aber nicht eingeschränkt werden. Dafür sind faire Lieferverträge vonnöten, die Sicherheit für beide Seiten schaffen, ohne die Schweinehalter zu knebeln.
Dass Lieferverträge am Schweinemarkt künftig noch stärker an Bedeutung gewinnen werden, davon geht die ISN jedoch sicher aus. Nach Einschätzung der Interessengemeinschaft streben die großen Schlachtunternehmen an, weite Teile ihres Rohstoffbedarfs über Verträge abzusichern. Die freie Vermarktung wird es zwar weiterhin geben, ihre Bedeutung wird angesichts der zunehmenden Komplexität in der Lieferkette, auch aufgrund von steigenden Tierwohl-, Klima- und Umwelt- sowie weiteren Anforderungen aber weiter abnehmen – mit entsprechenden Folgen für die Preisbildung.