In aller Deutlichkeit fordert Jochen Borchert von Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir ein Finanzierungskonzept zum Umbau der Nutztierhaltung. Die Tage bis zum Ende seiner Geduld scheinen gezählt. Kann die Bundesregierung im März keinen hinreichenden Plan vorlegen, dürfte es niemanden mehr wundern, wenn die Borchert-Kommission ihre Arbeit einstellt.

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Johanna Michel | am

Tierhaltung: Jochen Borchert wird nicht mehr lange auf Özdemir warten

Mit jedem Tag schwindet die Bereitschaft der Borchert-Kommission, Cem Özdemir beim Umbau der Tierhaltung zu unterstützen. Seinen Appell an die Bundesregierung könnte Jochen Borchert kaum eindringlicher formulieren.

Kurz vor dem Zerreißen ist der Geduldsfaden von Jochen Borchert, dem Vorsitzenden des Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung. Im September 2022 hatte die Borchert-Kommission Cem Özdemirs Mandat zur Weiterführung ihrer Arbeit zwar angenommen. Doch gleichzeitig kündigten die Kommissionsmitglieder an, so lange mit der Tätigkeit zu pausieren, bis die Bundesregierung für die Finanzierungsfrage zum Umbau der Tierhaltung eine Lösung gefunden hat.

Wirkliche Fortschritte mit einem klaren Konzept kann der Bundeslandwirtschaftsminister noch immer nicht verzeichnen. Die Geduld des Kommissionsvorsitzenden ist erheblich strapaziert, wie aus einem Interview mit Agra-Europe (AgE) hervorgeht.

Tage bis zum Rückzug der Borchert-Kommission sind gezählt

Inzwischen wirft der ehemalige Landwirtschaftsminister der Bundesregierung Scheinheiligkeit vor. Zwar würden die Empfehlungen der Kommission immer wieder hervorgehoben, doch nur Bruchstücke davon umgesetzt. Drei Jahre nach Vorlage der Ergebnisse der Kommission sei die Politik noch immer nicht weiter, obwohl eine Machbarkeitsstudie und eine Folgenabschätzung die Realisierbarkeit der Empfehlungen bestätigten. Über den offensichtlichen fehlenden politischen Mut zeigte Jochen Borchert sich im Namen der Kommission sehr enttäuscht. Die bisherigen Initiativen des Bundeslandwirtschaftsministeriums (BMEL) seien völlig unzureichend.

Noch erklärt Borchert sich für die Fortsetzung der Kommissionsarbeit bereit. Dazu müsse er allerdings Chancen für praktikable Vorschläge zum Umbau der Tierhaltung erkennen. „Ich habe aber wenig Lust wie in den letzten Monaten, immer wieder die Empfehlungen zu vertreten und zu hören, dass wir tolle Vorschläge vorgelegt haben, aber politisch passiert nichts. Das bringt uns nicht weiter“, sagte Borchert. Das Kompetenznetzwerk werde mit seiner Entscheidung über die Fortsetzung der Arbeit nicht bis zum Sankt Nimmerleinstag warten. Wenn die Möglichkeiten zur Umsetzung der Empfehlungen in dieser Legislaturperiode von Monat zu Monat geringer werden, stelle sich irgendwann die Frage, ob es noch Sinn macht, an dem Projekt weiterzuarbeiten, so Borchert.

Tierhaltung lieber abbauen anstatt finanzieren?

Einerseits habe Borchert den Eindruck, dass der Wille zum Umbau der Tierhaltung bei Minister Özdemir vorhanden sei. Andererseits schienen in der Ampelkoalition Blockaden vorhanden zu sein, die er nicht auflösen könne. „Ich kann aber nicht genau beurteilen, wo genau er die großen Widerstände sieht, die dazu führen, dass er keine geeigneten Vorschläge macht“, sagte Özdemir.

Borchert habe den Eindruck, dass ein Teil der Koalition eher den Abbau als einen Umbau der Tierhaltung erreichen wolle. Einen Abbau, wie er momentan in der Schweinehaltung zu beobachten sei, bezeichnete der Vorsitzende der Kommission als völlig verkehrten Ansatz. Die Sicht der Liberalen, die Zukunft der Tierhaltung über den Markt geregelt wird, schätzte Borchert als genauso falsch ein.

Zur Frage der künftigen Tierbestände in Deutschland sagte er, dass die tierwohlgerechtere Haltung mit einem Rückgang der Tierzahlen verbunden sein werde. Die ausreichende Eigenversorgung und weitere Konsequenzen auf den Handel müssten dabei aber bedacht werden.

Borchert: Özdemirs Vorschläge für die Schweinehaltung reichen nicht

Özdemirs geplante Tierhaltungskennzeichnung gehe eindeutig am Kern vorbei. So habe die Kommission von Anfang an betont, dass es ihr nicht um mehr Platz für die Tiere, sondern um eine artgerechte Haltung gehe. Auch die Forderung der Gesellschaft beinhalte nicht nur mehr Platz, sondern mehr Tierwohl.

Statt der lückenhaften Tierhaltungskennzeichnung seien staatliche Tierwohlprämien notwendig, die über 20 Jahre vertraglich abgesichert sind und die höheren laufenden Kosten zu 90 bis 100 Prozent ausgleichen. Vertragslaufzeiten über zehn Jahre, wie sie jetzt für Schweinehalter im Bundesprogramm zum Umbau der Tierhaltung angedacht sind, seien zu wenig. „Ich würde niemandem Raten, auf der Basis von zehn Jahren zu investieren, warnte das CDU-Mitglied.

Außerdem ist im geplanten Bundesprogramm vorgesehen, die laufenden Mehrkosten zu 65 Prozent abzudecken. Dazu lautet Borcherts Kommentar: „Bei den jetzt vorgesehenen 65 Prozent stellt sich jeder Landwirt sofort die Frage, woher die anderen 35 Prozent kommen. Dies wird dazu führen, dass Investitionen in mehr Tierwohl nicht stattfinden.“ Darüber hinaus kritisierte Borchert, dass die Finanzierung der laufenden Kosten lediglich für die nächsten vier Jahre gesichert werde.

Entscheidung über Fortsetzung der Arbeit im März?

Offen zeigte er sich gegenüber dem Einsatz einer weiteren Arbeitsgruppe der Koalition, die bis März die Finanzierungsfrage klären soll. Das Ergebnis der Arbeitsgruppe müsse ein langfristiges und verlässliches Finanzierungsmodell sein. Borchert selbst hält die Lösung über die Mehrwertwertsteuer auf tierische Produkte für die praktikabelste und unbürokratischste.

Als weitere Voraussetzungen, die für den Umbau der Tierhaltung notwendig seien, nannte Borchert Änderungen im Baugesetzbuch, im Emissionsschutzgesetz sowie im Umweltrecht. Im Hinblick auf die anschließende Arbeit der Kommission sagte Borchert: „Wir würden uns die Gesetzesvorlagen genau ansehen, sie kritisch überprüfen und gegebenenfalls Verbesserungsvorschläge machen. Davon sind wir aber noch weit entfernt.“

Lidl und Kaufland zählen zwar zu den Gründungsmitgliedern der Initiative Tierwohl (ITW). Für die geplante staatliche Tierhaltungskennzeichnung sprechen sich die Unternehmen aber trotzdem aus.

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