Der Markt verlangt bereits seit einigen Jahren vermehrt nach mehr Tierwohl. Ein Wunsch, dem auch die Landwirtschaft gern nachkäme. Doch die Hürden sind hoch. Auch dank des Drucks aus dem Ausland.
In Niedersachsen stehen im Schnitt 100 Kühe pro Betrieb. Viele davon gehen gehen selbständig in Richtung Melkroboter und lassen sich melken. Das war nicht immer so. Früher erledigte diese Arbeit ein Bauer, der mit schwerem Melkeimer von Kuh zu Kuh ging. Da waren es rund 30 Kühe, die gemolken werden wollten. Diese Arbeit wird heute deutlich effizienter und effektiver erledigt, was jedoch auch dementsprechend höhere Produktionskosten bedeutet. Dem gegenüber stehen die Erlöse. Und die ziehen nicht ausreichend nach.
Kosten rauf, Erlöse runter
"Die Hemmschwelle in Standards zu investieren, die über das Gesetz hinaus gehen, ist hoch. Die Diskrepanzen zwischen den Anforderungen des Handels und der Entlohnung unserer inländischen Produktion sind ein Kernproblem unserer hiesigen Landwirtschaft. Weltweit liberalisierte Märkte ermöglichen aber Marktzugang für alle, ohne dass wir ausreichende Kontrolle über die Produktionsbedingungen in den Importländern haben. Dieses System bedeutet für uns Landwirte: Kosten rauf, Erlöse runter!", sagt Manfred Tannen, Landvolk-Vizepräsident. Tannen ist ebenfalls Milchbauer und kennt die Problematik des Milchmarktes somit aus eigener Erfahrung. "Mit Einzelaktionen, wie z.B. der Kennzeichnung „ohne Anbindehaltung“, die der Handel initiieren möchte, wird Druck auf die Erzeuger ausgeübt, obwohl diese sich im gegebenen Rechtsrahmen bewegen", führt er fort.
Niedersachsen setzt oft auf Weidehaltung
In Niedersachsen ist Weidegang für etwa 46 Prozent aller Milchkühe möglich. Das ergab die Landwirtschaftszählung 2020. Tannen sieht die Anstrengungen beim Tierwohl zum einen im Rückgang der Anbindehaltung um mehr als elf Prozent deutschlandweit, zum anderen bei der Zunahme der Laufställe um acht Prozent. "Viele Milchviehhalter Niedersachsens ermöglichen ihren Tieren den Weidegang oder investieren in moderne Offen-Ställe. Doch es ist ein absolutes Unding seitens des Lebensmitteleinzelhandels (LEH), diese Haltungsform aufgrund absolut anderer Ausgangsbedingungen marketingtechnisch auszuschlachten."
Ein Liter Milch für unter 40 Cent
Tannen erklärt weiter, dass Anreizeffekte oder positive Botschaften völlig ausblieben und sieht kein Entgegenkommen auf Augenhöhe seitens des Lebensmitteleinzelhandels. Solche Aktionen stellten die Bereitschaft des Handels, mit der Branche nachhaltig und gemeinschaftlich eine Weiterentwicklung des Produktionsstandortes Deutschland voranzutreiben, deutlich in Frage. "Doch für die Einführung weiterer, erhöhter Produktionsstandards brauchen wir als Erzeuger Sicherheit, dass damit verbundene Kosten auf unserer Seite durch den LEH langfristig sicher vergütet werden. Nur mit diesem Vertrauen wird eine Übertragung des Models der Initiative Tierwohl auf die Milchbranche gelingen können", erklärt der Landvolk-Vize. Nach wie vor liegt der Preis, den Landwirte für einen Liter Milch bekommen, netto bei deutlich unter 40 Cent.