Viele Niedersachsen haben schon mal den Begriff „Schwengelrecht“ gehört. Doch was genau hat es damit auf sich? Wir haben dazu einen Experten befragt.
Wer von seinem Nachbarn die Einhaltung des Schwengelrechtes einfordert, weiß: das hat etwas mit dem Grenzabstand zu tun. Rechtsanwalt Torsten Nordmann vom Landvolk Hannover erklärt uns Herkunft, Zweck und die Voraussetzungen dieses Anspruchs:
Woher kommt der Begriff Schwengelrecht?
Als Schwengel bezeichnet man den rund einen halben Meter breiten Querbalken, der früher an dem Geschirr eines Zugtieres befestigt worden ist, um dieses daran beispielsweise vor einen Pflug zu spannen. Der Schwengel überragte die Ausmaße des Zugtieres und des dahinter befestigten Geräts. Außerdem bildeten Zugtier und Pflug meist keine gerade Linie, sondern verliefen beim Pflügen schräg versetzt hintereinander. Um die volle Breite des Ackers bearbeiten zu können, war es in der Regel erforderlich, mit dem Zugschwengel die Grenze des eigenen Grundstücks zu übertreten.
Wo ist das Schwengelrecht heute geregelt?
In Niedersachsen findet sich das Schwengelrecht heute in § 31 des Niedersächsischen Nachbargesetzes (NNachbG) wieder. Es bezieht sich nur noch auf den Abstand von Einfriedungen zur Grenze. Was grenznahe Anpflanzungen oder andere grenznahe Errichtungen betrifft, enthält das NNachbG dazu speziellere Vorschriften. Zum Abstand neben Wirtschaftswegen in der Feldmark ist im NNachbG nichts geregelt. Dafür gelten noch heute Gewohnheitsrecht und örtliche Rezesse.
Welche Voraussetzungen für das Schwengelrecht gelten nach dem Nachbargesetz?
Damit ein Grundstückseigentümer von seinem Nachbarn verlangen kann, dass dieser eine Einfriedung im Grenzbereich um 0,6 Meter zurücknimmt, muss
- sowohl das eigene
- als auch das Nachbargrundstück außerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteiles liegen
- und keines der beiden Grundstücke darf in einem Bebauungsplan als Bauland ausgewiesen sein.
Vereinfacht dargestellt gilt, dass sich beide Grundstücke nach baurechtlichen Maßstäben im Außenbereich befinden müssen. Ist schon diese Voraussetzung nicht erfüllt, kann der eine Nachbar vom anderen nicht verlangen, mit seinem Zaun einen 60 Zentimeter breiten Grenzstreifen freizuhalten.
Was, wenn für einen Teil des Nachbargrundstücks ein Bebauungsplan existiert?
Ist nur ein Teil des Nachbargrundstückes von einem Bebauungsplan erfasst, kommt es darauf an, welcher Teilbereich betroffen ist. Betrifft die Planung nicht den Grenzbereich, bleibt das Schwengelrecht bestehen. Wird eine der beiden Flächen später als Baugebiet ausgewiesen oder stellt sich ein Zusammenhang mit der geschlossenen Ortslage ein, entfällt der Anspruch gegen den Nachbarn, und dieser muss mit seiner Einfriedung keinen Grenzabstand einhalten.
Was müssen Landwirte zusätzlich beachten?
Derjenige, der von seinem Nachbarn die Einhaltung des Schwengelrechts einfordert, muss das eigene Grundstück außerdem landwirtschaftlich nutzen. Unter Landwirtschaft fallen insbesondere
- der Ackerbau,
- die Weide- oder Wiesenwirtschaft
- sowie die Tierhaltung auf überwiegend eigener Futtergrundlage.
Das Schwengelrecht beschränkt sich deshalb nicht bloß auf die ackerbauliche Nutzung von Flächen.
Wer allerdings von seinem Grundstücksnachbarn verlangt, den Grenzbereich zugunsten der Bewirtschaftung der eigenen Fläche freizuhalten, obwohl ein solcher Grenzstreifen dazu gar nicht benötigt wird, dürfte rechtsmissbräuchlich handeln. Das könnte beispielsweise dann der Fall sein, wenn die betroffene Fläche dauerhaft als Viehweide genutzt wird oder von einer dauerhaften Aufgabe der landwirtschaftlichen Nutzung auszugehen ist. Liegt die Fläche dagegen brach, muss das nicht zwangsläufig das Schwengelrecht ausschließen. Beabsichtigt der Eigentümer, die Fläche in der Zukunft zu reaktivieren, erscheint es auch nicht missbräuchlich, die Freihaltung eines Grenzstreifens vom Nachbarn einzufordern.
Welche Vorgehensweise empfiehlt sich, wenn der bestehende Grenzabstand in Gefahr ist?
Wer eine Einfriedung in einem Abstand von weniger als 0,6 Metern zur Grundstücksgrenze
- errichten,
- beseitigen oder
- wesentlich verändern will
- oder eine im Grenzbereich bestehende Einfriedung ersetzen möchte,
muss das dem Nachbarn nach § 37 NNachbG anzeigen. Will sich dieser dann auf das Schwengelrecht berufen, ist er dann zu schnellem Handeln verpflichtet: Er muss unverzüglich, das bedeutet ohne schuldhaftes Zögern, die Einhaltung des Grenzabstandes von mindestens 0,6 Metern verlangen (Die Voraussetzungen von § 31 NNachbG sind dabei zu beachten).
Welche Form ist vorgeschrieben, um den Grenzabstand einzufordern?
Eine bestimmte Form ist nicht vorgeschrieben, das heißt, der Eigentümer kann die Forderung auch mündlich aussprechen. Aus Beweisgründen empfiehlt sich aber immer die Schriftform. Hat der Nachbar seine Veränderungsabsicht ordnungsgemäß angezeigt und fordert der Betroffene daraufhin nicht, den Grenzabstand einzuhalten, dann ist das Schwengelrecht verwirkt.
Wenn der Nachbar vergisst, den Landwirt über die Veränderung im Grenzbereich zu informieren – welche Rechte hat er dann?
Häufig wissen die Beteiligten nichts von der Anzeigepflicht aus § 37 NNachbG und die Mitteilung an den Nachbarn unterbleibt. Doch das Schwengelrecht ist in einem solchen Fall nicht schon dann verwirkt, weil eine unverzügliche Aufforderung, den Abstand einzuhalten, unterblieben ist.
Im Gegenteil: Hat der Nachbar die Veränderung nicht angezeigt, kann der Grundeigentümer nach wie vor die Beseitigung einer neuen Einfriedung verlangen, binnen einer Ausschlussfrist von zwei Jahren nach der Errichtung. Das ergibt sich aus § 33 NNachbG.
Um die Frist zu wahren, fordert das Gesetz, eine gerichtliche Klage zu erheben. Im Umkehrschluss genießen ältere Einfriedungen Bestandsschutz, auch wenn sie abstandsrechtswidrig errichtet worden sind.
Wenn die Einfriedung Bestandsschutz hat – besteht dennoch die Chance, mehr Abstand einzufordern?
Die Möglichkeit, vom Nachbarn die Beseitigung einer zu nah an die Grenze gesetzten Einfriedung einzufordern, kann aber später wieder aufleben. Das passiert, wenn die im Bestand geschützte, aber abstandswidrige Einfriedung durch eine andere ersetzt wird.
Liegen die Voraussetzungen des Schwengelrechts vor, kann der betroffene Grundstückseigentümer erneut verlangen, dass der Zaun beseitigt wird, auch wenn vorher an gleicher Stelle und länger als zwei Jahre eine Einfriedung bestanden hat. In solchen Fällen ist Streit häufig vorprogrammiert, denn der Nachbar könnte sich darauf berufen, den Zaun nicht ersetzt, sondern nur ausgebessert zu haben. Der Bestandsschutz würde dann fortbestehen.
Wie dürfen Landwirte ihr Schwengelrecht ausüben?
Derjenige, der das Schwengelrecht ausübt, muss stets beachten, dass er fremden Grund und Boden in Anspruch nimmt. Der vom Nachbarn freizuhaltende Grenzstreifen darf betreten oder befahren werden. Doch es handelt sich nach wie vor um fremdes Eigentum – und damit sollte schonend umgegangen werden. Nicht zuletzt, weil mit der Ausübung des Schwengelrechts für den Nachbarn eine Eigentumsbeschränkung verbunden ist, die er entschädigungslos hinnehmen muss.
Das Schwengelrecht stellt außerdem kein Wegerecht dar. Die fremde Fläche in Anspruch zu nehmen, ist nur erlaubt, um die eigene Fläche ordnungsgemäß bewirtschaften zu können. Nicht gestattet ist es, das fremde Land zu nutzen, um eine andere Fläche zu erreichen, Gegenstände zu lagern oder dort Vieh zu tränken.