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Umweltminister Meyer: "Problemwölfe künftig schneller entnehmen"
Das Thema Wolf ist emotional aufgeladen und beide Seiten haben starke Argumente: Bei einer Podiumsdiskussion in Aurich kamen mehrere Beteiligte an einen Tisch.
Die alte Schmiede in Aurich Middels füllt sich. Geschäftiges Treiben des Restaurantpersonals, es werden noch die letzten Kabel gezogen, Mikrophone getestet, Plätze eingenommen. Dann zählt ein Tontechniker am Rand den Countdown: Noch 30 Sekunden! Es wird ruhig im Saal, alle warten darauf, dass die Live-Übertragung des Fernsehsenders „Oldenburg 1“ beginnt.

Das Podium (von links): Axel Bürgener vom Nabu, Umweltminister Christian Meyer, NWZ-Korrespondent Stefan Idel, Elisabeth Ahrends, Redaktionsleiterin der Emder Zeitung, Gerd-Udo Heikens, Oberdeichrichter der Deichacht Krummhörn und Gernold Lengert, stellv. Bezirksvorsitzender der Jägerschaften im Bezirk Ostfriesland. © Imke Harms
Podiumsdiskussion zum Thema Wolf: Umweltminister Christian Meyer in Aurich
Im Rampenlicht stehen sechs Personen: Umweltminister Christian Meyer (Grüne), Axel Bürgener vom Nabu und Wolfsbeauftragter in Wilhelmshaven-Oldenburg, Gerd-Udo Heikens, Oberdeichrichter der Deichacht Krummhörn, Gernold Lengert, stellvertrender Bezirksvorsitzender der Jägerschaften im Bezirk Ostfriesland - sowie Elisabeth Ahrends, Redaktionsleiterin der Emder Zeitung und Stefan Idel, Landeskorrespondent der Nordwestzeitung, die diese Veranstaltung in Aurich auf die Beine gestellt hat. Und das Thema? Emotional: „Der Wolf in Ostfriesland – wie geht es weiter?“
Großes Interesse: Wolf erhitzt die Gemüter
Das Interesse an dem Thema ist groß, denn in den vergangenen Monaten hatten sich die Meldungen über Wolfsangriffe in Ostfriesland gemehrt. In Niedersachsen werden im Jahr 2030 voraussichtlich bis zu 1300 Wölfe leben – so lautet zumindest das Ergebnis einer Wolfsstudie, die vom Umweltministerium jüngst präsentiert wurde. Und ganz aktuell hatte auch die Landesjägerschaft neue Zahlen herausgegeben: Zum Ende des ersten Quartals 2023 seien 51 Wolfsterritorien nachgewiesen worden, Ende vergangenen Jahres waren es noch 49 gewesen. Insgesamt seien in Niedersachsen damit derzeit 46 Wolfsrudel unterwegs, drei Wolfspaare und zwei Einzelgänger. In den ersten drei Monaten dieses Jahres registrierte die Landesjägerschaft zugleich 89 Übergriffe auf Nutztiere. Im Vergleich zum vierten Quartal 2022, als 128 Fälle registriert wurden, sank die Zahl der Übergriffe also um rund 30 Prozent.
Das müssen Sie beim Wolfszaun beachten
Emotionaler Schaden nach Wolfsangriff hoch
Ein Erfolg? Mitnichten war die Meinung von Gernold Lengert: „Keiner spricht davon, wie viele Tiere angegriffen und verletzt erst nach Stunden eingeschläfert wurden, ganz zu schweigen von hunderten von Schafen, die entweder verlammen – oder gar nicht mehr befruchtet werden.“ Es gehe auch nicht nur um Schafe. Keine Mutterkuhherde, die mal angegriffen wurde, werde sich noch von einem Zaun aufhalten lassen, „kein Pferd lässt sich nach einem Wolfsangriff je wieder reiten, weil jede Begegnung mit einem Spaziergänger samt Hund ein Flashback in ihm auslösen und das Tier nicht mehr zu halten sein wird. Der emotionale Schaden eines Wolfsangriffs ist sehr viel höher als der finanzielle.“ Seiner Meinung nach müsse es wolfsfreie Zonen geben. „Ja, die Gesellschaft will den Wolf. Aber hier in Ostfriesland und an den Deichen will sie ihn nicht!“
Sehr wohl als Erfolg wertet der Nabu die Zahlen: Selbstverständlich bedauere der Naturschutzbund sämtliche Nutztierrisse und damit verbundene Auswirkungen. Auch aus diesem Grund fordere er weiter konsequent eine fachliche sowie finanzielle Unterstützung der Nutz- und Wiedetierhaltungen in Sachen Herdenschutz, wie in einer Mitteilung nachzulesen ist.
Christian Meyer: „Der Wolf ist kein Kuscheltier“
Christian Meyer versuchte, die Situation zu beruhigen: „Der Wolf ist ganz sicher kein Kuscheltier – aber er ist auch kein Schädling.“ Grundsätzlich habe man sich als Gesellschaft doch dafür entschieden, den Wolf zu schützen, ihn nicht wieder ausrotten zu wollen. Auf Stefan Idels Frage, wann es denn „genug“ Wölfe seien, sagte der Minister: „Erstens lege ich diese Grenze nicht fest, dafür gibt es Richtlinien. Auch ich wünsche mir vom Bund, dass dieser den sogenannten Erhaltungszustand feststellt.“ Zweitens brauche es zu dem Thema keine „Globaldebatte“. „Wenn es 1000 Wölfe gibt, die keine Probleme machen, dann muss ich sie auch nicht abschießen. Wenn einer aber immer wieder – trotz aller Maßnahmen – Nutztiere reißt, ist das eine andere Ausgangslage.“ Es brauche ein regionaldifferenziertes Management und eine wissenschaftlich fundierte Diskussion. Ziel müsse immer sein, dass sich der Wolf fernhält von menschlichen Behausungen und von Nutztieren.

Großes Interesse: Umweltminister Christian Meyer kam zu einer Podiumsdiskussion zum Thema Wolf nach Aurich. © Imke Harms
Sonderfall: Herdenschutz in Deichregionen
Doch Herdenschutzmaßnahmen seien am Deich nicht umsetzbar, erklärte Tierhalter Heikens. „Wir können doch nicht ganz Ostfriesland einzäunen!“ Zudem koste ein solcher Zaun um die 30 Euro pro Meter, „und das Material ist nicht das teuerste, die Arbeit für das Aufstellen und die Instandhaltung müssen auch bezahlt werden.“ Auf dem Papier könne man sich den Herdenschutz am Deich „zurechtbasteln“, mit der Praxis habe das aber nichts zu tun.
So viele Wölfe leben in Niedersachsen und Deutschland
Wolfszaunbau auch in schwierigen Lagen?
Anders sah das der Wolfsbeauftrage Axel Bürgener. „Dieser Wolfs-Zaunbau ist keine schlichte Theorie, er funktioniert. Wir unterhalten solche Zäune seit mehr als fünf Jahren, wir haben mehr als 300 Betriebe im Aufbau unterstützt und wissen, dass es auch in schwierigen Lagen möglich ist. Es ist aufwändig, aber es geht - und man muss es wollen.“ Seine These: „Ein etabliertes Wolfsrudel in einer Region ist der beste Herdenschutz!“ Denn dort siedelten sich keine neuen Wölfe an.
Wolfsmonitoring: Wolfsrüde in Niedersachsen trägt jetzt einen Sender
Meyer: „Problemwölfe schneller entmehmen“
Umweltminister Christian Meyer machte am Ende des Abends Zusagen. Bis zum Ende dieses Jahres solle die Wolfsverordnung überarbeitet sein, Arbeitskreise forschten zu verschiedenen Themen. Sein Ziel: „Die Weidetierhaltung und der Wolf gehören beide zu Niedersachsen. Es muss nebeneinander gehen.“ Er wünsche sich mehr Sachlichkeit in der Debatte und fasste am Ende zusammen: „Wir müssen alles erdenklich Machbare beim Herdenschutz umsetzen – viel mehr präventiv handeln und nicht warten, bis etwas passiert ist. Außerdem gilt es, unbürokratischer zu werden und Problemwölfe oder im Zweifel sogar problematische Rudel zu entnehmen.“