Lange bevor im Laubwald das junge Blattgrün treibt, mobilisieren Spezialisten ihre unterirdischen Kräfte und machen Schluss mit dem winterlichen Einheitsbraun. Ein wahres Blütenspektakel erlebt derzeit der Hamelner Stadtwald.
Das Wunder passiert in jedem Vorfrühling. Durch die lichten Kronen der noch unbelaubten Buchen, die das Naturschutzgebiet Schweineberg im Hamelner Stadtwald dominieren, dringen erste wärmende Sonnenstrahlen und verwandeln den Waldboden unverhofft in ein Meer aus weißen Blütenglöckchen. Märzenbecher lassen sich in milden Wintern wie dem diesjährigen schon ab Februar blicken und bilden den Auftakt zu einer spektakulären Frühlingsblüte.
Größtes Waldvorkommen in Deutschland
Wenig später schieben Leberblümchen, Seidelbast, Buschwindröschen, Lerchensporn und Aronstab ihre Blätter und Blüten ans Tageslicht. Dem ersten Frühlingsboten aber stielt im Hamelner Wald so leicht kein anderer die Show, denn sein Auftritt ist legendär. „Wir haben hier eines der größten Waldvorkommen des Märzenbechers in Deutschland, vermutlich sogar in Europa und definitiv das größte im Norden“, sagt stolz Stadtwaldförster Carsten Bölts, der das 1.256 Hektar große Kommunalforstamt leitet.

Buschwindröschen, Leberblümchen und viele andere Frühblüher überziehen den Wald mit einem bezaubernden Blütenteppich. © Mitze
Geophyten spielen auf Zeit
Auf dem Schweineberg, der in früheren Zeiten höchstwahrscheinlich als Hutewald genutzt wurde, erstreckt sich der flächige Bewuchs mit der schönen Frühlingsblume über rund vier Hektar. Die starke Ausdehnung sei ein Zeichen dafür, dass es sich hier um ein sehr altes Vorkommen handele, denn der Märzenbecher brauche Zeit, um sich auszubreiten. Die Dimension verwundert umso mehr, als der Standort eher untypischen ist: ein im Sommer wenig wasserversorgter Rendzina-Boden, hervorgegangen aus mächtigen Muschelkalkablagerungen.
Frühjahrsblüher nutzen schmales Zeitfenster
„Der Auwald ist die Regel, der flachgründige Kalkboden die Ausnahme“, charakterisiert Carsten Bölts den Lebensraum der Frühlings-Knotenblume (Leucojum vernum), wie der Märzenbecher auch genannt wird. Sie vermehrt sich über sowohl unterirdisch, über ihre Zwiebeln, als auch über Samen und zur Freude des Försters dehnt sich das Vorkommen in die Täler hinein weiter aus. „Da, wo die Rendzina langsam in eine fruchtbare Braunerde übergeht, wächst sie immer besser“. Verständlich, denn hier verbessern sich auch ihre Lebensbedingungen.
„Es ist ein sehr schmales Zeitfenster, das alle Frühjahrsblüher nutzen, um sich zu vermehren und Reservestoffe zu assimilieren “, erläutert der Förster weiter. Denn mit dem Laubaustrieb der Bäume und Sträucher wird es am Waldboden zunehmend schattig und spätestens, wenn das Blätterdach schließt, ist der Blütentraum vorbei. Die Pflanzen ziehen dann im Laufe der Folgemonate bis zum Winter ihre oberirdischen Pflanzenteile ein. Der Märzenbecher ist als einer der ersten verschwunden.
Niedersächsischer Weg: Jetzt Teil der Waldentwicklung
Frühblüher überwintern unter der Erdoberfläche
Alle Frühblüher überwintern mit ihren Speicherorganen –Zwiebeln, Knollen oder Rhizomen – unter der Erdoberfläche, weshalb sie als Geophyten bezeichnet werden und bevorraten dort die assimilierten Reservestoffe. Auf diese Weise treffen die Spezialisten Vorsorge für den nächsten Frühling. Dann werden sie darauf angewiesen sein, aus ihrem unterirdischen Reservoir zu schöpfen, denn das Blühen und Fruchten kostet sie weit mehr Energie, als sich zu dieser Zeit durch Photosynthese aufbringen lässt.
Auf der Roten Liste - Pflücken verboten
Die Frühlings-Knotenblume gehört zur Familie der Amaryllisgewächse und zählt zu den gefährdeten Arten. Bedroht war ihr Bestand bereits in den Nachkriegsjahren, weil die schöne Blume in Massen ausgegraben und auf Wochenmärkten verkauft wurde. Diesem Umstand ist die Ausweisung des 170 Hektar großen Naturschutzgebietes Schweineberg, als eines der ersten dieser Art, im Jahr 1947 geschuldet.
Auch wenn man angesichts des schier unendlichen Blütenmeers glauben könnte, auf einzelne Exemplare käme es nicht so sehr an, ist das Pflücken oder Ausgraben der seltenen Zwiebelblume für den eigenen Hausgarten dennoch strengstens untersagt. Seit diesem Jahr sorgen vier Rangerinnen und Ranger – sie sind ausgebildete Waldpädagogen – für den achtsamen Umgang mit dem schutzbedürftigen Bestand. Denn das Naturspektakel lockt so viele Menschen in den Frühlingswald wie zu keiner anderen Jahreszeit.
Im Wald auf den Wegen bleiben
„Die Pflanze verträgt überhaupt keine Verdichtung“, so Bölts. Jeder Tritt sei schädlich und verhindere ihre Vermehrung. Damit die Waldbesucherinnen und -besucher auf den Wegen bleiben, ist es in der Saison die Aufgabe der Waldführer, dies zu kontrollieren und darüber hinaus Wissenswertes über das Naturgebiet und dessen außergewöhnliche Flora und Fauna zu vermitteln. Über das Stadtforstamt Hameln können sogar geführte Wanderungen im Naturschutzgebiet Schweineberg gebucht werden.
Interessierte können sich unter dafür unter 05151-202 3026 anmelden oder sich auf www-hameln.de Infos besorgen.